Bis zum kommenden Jahr will der Bayerische Rundfunk das Schema seines TV-Programms vollständig überarbeiten und sorgt damit derzeit für Irritationen bei den Mitarbeitern. Ein erster Entwurf der Geschäftsleitung um Intendant Ulrich Wilhelm wurde in der vergangenen Woche im Fernsehausschuss vorgestellt. Am heutigen Donnerstag wird der Rundfunkrat über die Debatte informiert. Gegenüber der eigenen Belegschaft und in der Öffentlichkeit hat sich der Sender mit Details bislang zurückgehalten – unter Mitarbeitern gibt es deshalb Spekulationen über die Zukunft einzelner Sendungen.

Dabei steht im Kern der Reform eigentlich eine Ausweitung der regionalen Information, die – das bestätigt auch der BR – eine Stärkung der täglichen Programme "Abendschau" und "Rundschau" zur Folge hätte. So wie fast alle Dritte Programme in der ARD plant auch der BR, künftig um 20 Uhr die "Tagesschau" zu zeigen (DWDL berichtete). Bislang wird darauf verzichtet. Stattdessen ist die Nachrichtenredaktion der "Rundschau" mit zuständig für einen weltweiten Nachrichtenüberblick und berichtet in derselben Sendung über Griechenland und den bayerischen Gamsbockbestand. Im neuen Schema soll sie sich vor allem mit bayerische Politik bzw. der Auswirkung bundespolitischer Entscheidungen auf Bayern befassen. Die "Abendschau" wiederum könnte stärker auf Lifestyle- und Familien-Themen setzen.

Im Sender wird befürchtet, dass darunter die Magazine des Bayerischen Fernsehens leiden könnten. Sendungen wie das Kulturmagazin "Lido" und das gerade erst mit dem Münchner "Sozialcourage-Medienpreis" ausgezeichnete Gesellschaftsmagazin "Jetzt mal ehrlich" könnten auf der Kippe stehen. Im Gespräch mit DWDL erklärt Andreas Bönte, Programmbeauftragter für das Bayerische Fernsehen: "Es soll nichts verschwinden, wir wollen Sendungen neu aufstellen und Themen anders gewichten."

Darüber, dass sich der BR veränderten Zuschauergewohnheiten anpassen muss, ist man sich im Sender – auch in vielen Redaktionen – weitgehend einig. "Wir haben gemerkt: Der BR bildet die Gesellschaft nicht mehr so ab, wie sie ist", räumt Bönte ein. "Der BR hat in den vergangenen Jahren die Generation der 30- bis 55-Jährigen in seinem Programm zu wenig berücksichtigt. Durch das neue Programmschema wollen wir Inhalte für das gesamte bayerische Publikum bieten und mit modernen Themen auch neue Zuschauerschichten und -generationen stärker ansprechen." Es gehe um mehr "bayerische Bodenständigkeit". Bönte sagt auch: "Die Stärkung der Regionalisierung soll nicht zu Lasten anderer Sendungen erfolgen." Die Strecke der regionalen Information am Vorabend werde sich von der Länge nicht ändern. Es würden lediglich "andere Schwerpunkte gesetzt", um "noch mehr journalistischen Tiefgang, exklusive Recherchen und mehr Hintergrund" zu ermöglichen.

"Wir wollen weg von der Idee, dass jede Sendung ihre eigene Redaktion hat."
Andreas Bönte, Programmbeauftragter des Bayerischen Fernsehens

Auch die Länge der Formate kommt auf den Prüfstand. Aus der Medienforschung ist bekannt, dass Magazine in der bisherigen Länge von 45 Minuten von jüngeren Zuschauern insbesondere am Vorabend nicht mehr akzeptiert würden. Bönte: "Wir überlegen daher, ob es möglich ist, die Fachthemen auf das gesamte Programm zu verteilen."

Damit einher geht auch eine Umorganisation der Zuständigkeiten. "Wir wollen weg von der Idee, dass jede Sendung ihre eigene Redaktion hat. Zukünftig sollen die Fachredaktionen ihre Themen auch an die aktuellen Sendungen zuliefern, so wie wir das im Hörfunk bereits umgesetzt haben", sagt Bönte. Eine solche Entkoppelung würde aber auch bedeuten, dass Autoren und Redakteure einzelnen Formaten schwerer eine unverkennbare Handschrift geben könnten.

Bönte redet über eine Umsortierung, etwa von Kulturthemen (Literatur, Musik, Porträts), die jetzt über mehrere Plätze im Programm verstreut seien und auf einem zusammengefasst werden könnten. Ob es dafür am Ende ein einheitliches Label gebe, sei noch nicht entschieden.

Der Verbleib der Dokuschiene um 17 Uhr am Nachmittag steht ebenfalls in Frage: "Wir überlegen, bayerische Dokumentationen vom Vorabend auf einen Sendeplatz in den Hauptabend zu rücken." Die Bürgerformate "Jetzt red i", "Jetzt red i – Europa" und "Bürgerforum" werden zusammengefasst.

Das erst im vergangenen Jahr am Montag gestartete Gesellschaftsmagazin "Jetzt mal ehrlich" trägt zwar bereits zur Verjüngung bei – aber offensichtlich noch nicht in dem Maße, wie sich das die Geschäftsleitung gewünscht hat. Bönte meint: "Eine Sendung wie 'Jetzt mal ehrlich' ist kein klassisches Magazin, eher eine Form der Gesellschaftsreportage. Dieses Genre soll erhalten werden, die Arbeit der Redaktion könnte aber möglicherweise in einen hochwertigen Reportageplatz einfließen, der in der Kooperation zwischen Informations- und Fernsehdirektion bespielt würde." Im Netz ist derweil eine Petition zum Erhalt der Sendung gestartet worden.

An der Unterhaltung würde wohl nicht gerüttelt. Lediglich die tägliche Soap "Dahoam ist dahoam" müsste, wenn die "Tagesschau" um 20 Uhr läuft, auf 19.30 Uhr vorverlegt werden.

Parallel zur inhaltlichen Neuaufstellung muss der BR – wie viele andere ARD-Landesrundfunkanstalten – Kosten senken. Nach DWDL-Informationen geht es um Einsparnisse von 3 Prozent über alle Redaktionen hinweg. Als Grund für die Reform will Bönte das ausdrücklich nicht verstanden wissen. Die Einsparungen seien eine Folge dessen, dass der Rundfunkbeitrag sechs Jahre lang nicht erhöht wurde und der BR weniger Geld zur Verfügung habe, wenn gleichzeitig die Kosten steigen. Bislang halfen offensichtlich Reserven, um dies aufzufangen.

Wenn allerdings "Rundschau" und "Abendschau" gestärkt werden sollen, könnten die Sparmaßnahmen dafür an anderer Stelle stärker zu Buche schlagen. Der neue Haushalt steht jedoch erst im Herbst zur Debatte. Nach DWDL.de-Informationen hat sich der Fernsehausschuss bei der Beratung in der Vorwoche deswegen auch dagegen ausgesprochen, dass die Geschäftsleitung jetzt schon Teilkündigungen an feste freie Autoren einzelner Sendungen ausspricht. Bönte erklärt dazu: "Meines Wissens nach hat es bisher keine Teilkündigungen gegeben." Da bei zahlreichen Punkten weiter Klärungsbedarf besteht, hat der Ausschuss, der in dem Prozess eine beratende Funktion einnimmt, um einen nachgebesserten Entwurf gebeten, der im Herbst diskutiert werden kann.

Ausgerechnet dann verlässt die jetzige Fernsehdirektorin Bettina Reitz den Sender, um Präsidentin der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen zu werden (DWDL berichtete). Wer ihr nachfolgt – oder ob der BR seine Direktionen umsortiert – ist bislang nicht kommuniziert. Vor einem Jahr war Thomas Hinrichs, ehemals Zweiter Chefredakteur von ARD-aktuell in Hamburg, auf den neu geschaffenen Posten des "Informationsdirektors" beim BR gewechselt (siehe DWDL) und hat auch dabei auch Zuständigkeiten übernommen, die bisher bei Reitz lagen.

Dazu steht eine Namensänderung auf der Agenda: Statt "Bayerisches Fernsehen" könnte das Dritte künftig "BR Fernsehen" heißen. Das sorge für "mehr Klarheit und Orientierung", heißt es in München. Um die wird sich die Geschäftsleitung wohl nicht nur in dieser Hinsicht weiter bemühen müssen.

Nachtrag, 17.50 Uhr: Der entsprechende Tagesordnungspunkt im Rundfunkrat ist aus Zeitmangel auf die nächste Sitzung verschoben worden.

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