Eigentlich hatte der ORF den Eurovision Song Contest bereits abgeschrieben. Zuletzt verzichteten die Österreicher gar darauf, einen eigenen Vorentscheid auszurichten. Aus gutem Grund: Von allen Ländern, die den ESC schon einmal gewonnen haben, wartete Österreich am längsten auf einen erneuten Sieg: Ganze 48 Jahre strichen ins Land. Im vorigen Jahr wurde dann aber doch noch alles gut. Conchita Wurst kam, sang - und siegte. Entsprechend groß fiel der Jubel in der Alpenrepublik aus. Doch unter die Partystimmung mischten sich recht schnell kritische Stimmen, die auf die hohen Kosten verwiesen, die die Ausrichtung einer Riesen-Show wie dem ESC mit sich bringen. So wie das jedes Jahr der Fall ist, wenn ein Land den Song Contest gewinnt.
"Wirtschaftlich ist der ESC für den ORF natürlich ein sehr großes Projekt", sagt ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz gegenüber dem Medienmagazin DWDL.de und spricht von Bruttokosten in Höhe von 25 bis 30 Millionen Euro. Abzüglich aller Einnahmen bleiben Nettokosten von rund 15 Millionen Euro, die der chronisch klamme ORF tragen muss. Und doch wollte man sich den Eurovision Song Contest, "die größte Unterhaltungsshow der Welt", nicht nehmen lassen. "Er ist sozusagen die Königsklasse der Hauptabendshows, mit der wir zeigen werden, wofür öffentlich-rechtliche Fernsehunterhaltung steht", betont Wrabetz.
ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz
Das Motto "Building Bridges" soll dabei helfen, den ESC zu einem "Fest der Musik, der Toleranz und der europäischen Vielfalt" zu machen. Das macht Sinn - nicht nur mit Blick auf den Sieg von Conchita Wurst, die in diesem Jahr sowohl als Host und Showact mit von der Partie sein wird. "Österreich war schon allein durch seine Lage über Jahrhunderte eine Brücke zwischen Ost und West, Nord und Süd. Das wollen wir aufgreifen", kündigt Wrabetz an. Für die Show selbst verspricht er schon mal "ein sehr stimmiges und, wie ich denke, eindrucksvolles Kreativ-Konzept abseits der gängigen Österreich-Klischees".
Das umzusetzen wird jedoch nicht einfach, wie auch der ORF-Chef weiß. "Der ESC ist in mehrfacher Hinsicht eine große Herausforderung, kreativ, technologisch und organisatorisch." 350 LKW haben seit Anfang April 350 Tonnen Material in die Wiener Stadthalle geliefert, die als Austragungsort des Eurovision Song Contests dient. Insgesamt wurden im Vorfeld der Show mehr als 180 Kilometer Kabel verlegt, hinzu kommen 1.400 Scheinwerfer, 26 Kameras und zwei hochmoderne Übertragungswagen. "Inklusive aller Durchläufe und Proben sind es insgesamt 12 Shows, für die wir rund 95.000 Karten verkauft haben", zählt Alexander Wrabetz auf und verweist in diesem Zusammenhang auf 1.700 Journalisten, 800 Delegierte und 800 Volunteers sowie eine Vielzahl von Public Viewings und begleitenden Veranstaltungen im ganzen Land.
"Um das alles gleichzeitig zu stemmen, müssen wir natürlich alle unsere Kräfte bündeln. Aber wir haben ein tolles Team, die Vorbereitungsarbeiten laufen sehr gut und wir liegen im voll Zeitplan", betont der Generaldirektor, der außerdem stolz darauf ist, den Eurovision Song Contest zum ersten Mal in seiner Geschichte als "nachhaltiges, voll-zertifiziertes Green-Event" zu veranstalten und einen Schwerpunkt in der Barrierefreiheit zu setzen. So soll die Show unter anderem in internationaler Gebärdensprache angeboten werden.
Nun gibt es jedenfalls kein Zurück mehr: Spätestens mit dem ersten Jury-Halbfinale, das an diesem Montag steigt, beginnt der ESC-Wahnsinn in Wien - und einen Tag später steigt dann endlich auch die erste Live-Übertragung aus der Stadthalle. Der ORF legt die Messlatte schon mal hoch. Regisseur Kurt Pongratz soll gleich zu Beginn zeigen, wie spektakulär die Bühne mit all ihrer Technik in Szene gesetzt werden kann. Die gesamte LED-Rückwand wird in der Mitte auf einer Breite von elf Metern geöffnet und gibt den Blick frei auf das Radio-Symphonieorchester, das Conchita Wurst musikalisch begleitet. Mit dem so genannten Kugelballett sollen über den Köpfen des Publikums dreidimensionale Bilder entstehen, ehe die Vorjahressiegerin zusammen mit den ersten 16 Halbfinal-Teilnehmern die Bühne betritt.
Dort warten mit Arabella Kiesbauer und Mirjam Weichelbraun zwei Moderatorinnen, die auch deutsche Fernsehzuschauer bestens kennen. Unterstützung erhalten sie von ihrer Kollegin Alice Tumler. Mit Christian Oberfuchshuber ist übrigens auch ein Deutscher hautnah mit dabei - als Warm-Upper. Neun Outfits für zwölf Shows hat er eingepackt. "Im ersten Meeting beim ORF in Wien wurde mir das erste Mal die Dimension klar, die der ESC hat", erinnert er sich und blickt gespannt nach vorne auf seinen "Once-in-a-lifetime-Moment", wie er ihn nennt. "Es soll kein typisches Warm-Up stattfinden, sondern eine eigene Show", sagt Oberfuchshuber. Zusammen mit seinem Kollegen Markus Schöffl wird er mehr als eine Stunde auf der Bühne stehen und die Zuschauer auf die große Show vorbereiten - in zwei Sprachen. "Das gab es in dieser Form noch nie beim ESC."
Gespannt sind aber auch die Österreicher: Gerade erst hat eine Umfrage herausgefunden, dass 81 Prozent der Bevölkerung den ESC als gute Möglichkeit sieht, das Land in der Welt zu präsentieren - und fast genauso viele sind sich sicher, dass durch der Bekanntheitsgrad Österreichs in der Welt durch die Show noch höher wird. Die Rechnung könnte aufgehen. "140 Firmen, mit denen wir beim ESC zusammenarbeiten, 100.000 Menschen als Gäste bei zwölf Shows in der Wiener Stadthalle, Tausende Fans bei den zahlreichen Events in ganz Österreich und 200 Millionen Menschen weltweit vor den TV-Schirmen - von Europa über China bis Australien: Der 'Eurovision Song Contest' ist ein unvergleichlicher Imageträger und weltweiter Multiplikator für Österreich in der Welt", sagt ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz.
Wann er die Show für sich ganz persönlich als Erfolg wertet? "Wenn alles klappt, so wie wir das geplant haben, dann wird der ESC eine eindrucksvolle Show, ein Fest der Musik, der Toleranz und der Vielfalt. Wenn wir das rüber bringen, dann war der Eurovision Song Contest 2015 ein Erfolg."