"Wir haben die Vergangenheit des Privatfernsehens hier, wir haben die Zukunft des Privatfernsehens hier. Und ich bin das traurige Beispiel für die Gegenwart des Privatfernsehens." Dass nicht so ganz mit dem üblichen PR-Sprech zu rechnen ist, machte Tele 5-Geschäftsführer Kai Blasberg bei der nach eigenem Bekunden "ersten PK mit einem angetrunkenen Senderchef" schon gleich zu Beginn klar. Tele 5 hatte am Montagabend in eine Kneipe in St. Pauli geladen, um dort seine neuen Eigenproduktionen vorzustellen, darunter das Format, das schon seit vielen vielen Jahren als Wortwitz durch Hugo Egon Balders Interviews geisterte: "Der Klügere kippt nach".
Balder, Hella von Sinnen und Wigald Boning, vor allem aber auch das Format standen also wohl für die Vergangenheit des Privatfernsehens - und das war nicht als Herabwürdigung gemeint. "Es geht nicht um Alkohol, sondern um Fernsehunterhaltung, wie wir sie vor gefühlten 200 Jahren mal gelernt haben", erklärte Kai Blasberg. Überhaupt wurde an diesem Abend vielfach betont, dass "Der Klügere kippt nach" kein "Suff-TV" sein solle, keine Huldigung des Alkohols. "Es wird sich keiner zu Tode saufen, niemand wird vom Stuhl fallen. Und es dürfen auch Leute kommen, die gar keinen Alkohol trinken", so Balder. "Der Alkohol steht nicht im Vordergrund", wiederholte auch Hella von Sinnen mehrfach.
Doch was ist nun das Konzept dieser Sendung? Blasberg zeigte sich weitgehend ahnungslos: "Es ist eine Live-Sendung. Bis heute wissen wir nicht, was das ist und was das wird." Warum sie trotzdem produziert wird, brachte Hella von Sinnen auf den Punkt: "Wir Fernsehleute haben einfach Spaß an griffigen Titeln." Das Konzept scheint da fast zweitranging. Von einem Format will Hugo Egon Balder als Erfinder der Sendung gar nicht erst reden: "Es ist kein Format. Da sitzen einfach fünf Leute am Tisch und unterhalten sich über aktuelle Themen. Der einzige Unterschied zu den anderen Talkshows, wo alle vor allem darauf bedacht sind, gut auszusehen und nichts falsches zu sagen: Bei uns dürfen die Leute live trinken. Wir hoffen, dass dadurch Wahrheiten ans Licht kommen, die man woanders noch nicht gehört hat. Vielleicht wird’s genauso langweilige Scheiße wie bei den anderen auch. Vielleicht aber auch nicht." Hella von Sinnen ergänzte: "Ich erhoffe mir erfrischende Gespräche. Es ist live, ihr macht es einfach und das ist geil."
Später erklärt Hugo Egon Balder im Gespräch mit DWDL.de: "Wir treffen uns am frühen Abend, essen was Leckeres und der eine trinkt ein Weinchen, der andere ein Bierchen. Und vielleicht halt noch ein Gläschen. Wir machen einfach das, was man normalerweise vor Fernsehsendungen nicht machen darf." Die Live-Sendung beginnt dann um 22:15 Uhr - zu einer Zeit, zu der die insgesamt vier Gäste dann hoffentlich etwas angeheitert und die Zungen etwas gelockert sind. "Ich wollte an sich gar nicht dabei sein, ich wollte es nur produzieren", verrät Balder. "Aber dann hat Blasberg gesagt: 'Ne, wenn dann machst Du schon mit.'" Doch er reicht nur die Getränke. Moderieren wird ein anderer. "Wigald Boning ist für die Sendung als Moderator sensationell weil er sowohl Comedy beherrscht als auch die Intellektualität, um jedes Thema anpacken zu können." Und welche Aufgabe erfüllt Hella von Sinnen? "Trinken", sagt Balder und lacht laut.
Wie Wigald Boning an den Moderatoren-Job gekommen ist, erklärt dieser selbst übrigens so: "Ich kenne die Idee für die Sendung seit 1993. Damals hab ich mal zugesagt, dass ich das natürlich moderieren würde. Damals habe ich ja nicht vermuten können, dass wir irgendwann in ein goldenes TV-Zeitalter geraten, in dem ein Senderchef das tatsächlich macht. Jetzt komme ich nicht mehr raus aus der Nummer." Mit einem Augenzwinkern schiebt er hinterher: "Ich glaube, das könnte die niveauvollste Sendung werden, die es in den letzten zehn Jahren im deutschen Fernsehen gegeben hat."
Allgemein war in Hamburg von vielen Seiten zu spüren, wie froh man heutzutage über einen wie Blasberg ist, der aus einem längst zum Running Gag gewordenen Wortspiel tatsächlich handstreichartig eine Sendung macht. Und der auch neuen Talenten eine Chance gibt, die sie von großen Sendern einfach nicht bekommen. "Es gibt keine spontanen Ideen bei den anderen Sendern mehr. Das geht nicht mehr. Das sind doch keine Fernsehsender mehr. Es sind verbeamtete Verwaltungsapparate, leider", so Balder. Und Frank Elstner - von Blasberg charmant mit den Worten "früher ein großer Fernsehstar" eingeführt - lobte Tele 5 mit den Worten: "Es ist sensationell, dass es heute noch einen Sender gibt, der etwas Kreatives probiert. So viele Kreative werden von den Sendern mit der Aussage nach Hause geschickt, 'Wir haben kein Geld' und 'Wir entwickeln noch'."
Blasberg schickte hinterher: "Wir haben kein Geld und wir entwickeln nichts" - dafür bietet er jenen eine Plattform, die selbst kreativ genug waren, mit einem Format an Tele 5 heranzutreten. Und so bekommen zwei Schützlinge aus Frank Elstners Moderatoren-Masterclass demnächst ihre Chance: "Frau Dingens will zum Fernsehen" mit Kirstin Warnke und "Boomarama Late Night" mit Aurel Mertz. Während sich Aurel Mertz an einem klassischen Late-Night-Format mit prominenten Gästen und überdrehten Einspielern versuchen darf, spielt Kirstin Warnke die 30-jährigen Frau Dingens, die in ihrem Leben bisher nichts geschafft hat: sie ist Single, Multijobberin und vorbestraft wegen Schwarzfahrens. Frau Dingens beschließt daher, alles nochmal neu anzugehen und Karriere beim Fernsehen zu machen - doch das Scheitern bleibt vorprogrammiert. Los geht's für beide Sendungen wie auch für "Der Klügere kippt nach" am 6. April ab 22:15 Uhr.
So froh gerade Nachwuchs-Talente über die Chance, die Tele 5 ihnen bietet, sein dürften: Dass ein solch kleiner Sender nicht auf Dauer die Wunschvorstellung bleiben kann, ist auch Kai Blasberg bewusst: "Walulis hat uns damals kurz nach der Grimmepreis-Verleihung gesagt, dass er zum SWR geht. So wird das auch diesmal sein: Sobald wir Erfolg haben, werden sie uns in den Arsch treten und verlassen. Und das ist gut so! Ich will, dass Ihr uns möglichst bald verlasst, denn Ihr habt's verdient." Und an Balder & Co. gerichtet: "Aber bei euch möchte ich, dass ihr lange bleibt. Mit euch möchte ich sterben." Falls "Der Klügere kippt nach" letztlich auf Dauer doch nur zum Witz und nicht zur Show taugt, dann lässt Balder schonmal wissen, dass auch weitere Projekte mit Tele 5 denkbar seien: "Wir haben noch einige Ideen im Kopf, da reden wir mal drüber und schauen was passiert."