Wenn es um die Messung der Einschaltquoten in Deutschland geht, sind viele Zuschauer skeptisch: Wie können 5000 Haushalte realistisch das Verhalten von so vielen Millionen abbilden? Die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), in der sich die vier großen Sendergruppen zusammengeschlossen haben, erklärt Statistik-Laien deshalb auf ihrer Website: "Repräsentativität ist eine Frage der Strukturgleichheit zwischen Stichprobe und Grundgesamtheit." Die Stichprobengröße von 5000 Haushalten sei dann "deutlich ausreichend, um signifikante Ergebnisse mit ausreichend hohen Fallzahlen für ein breites Set an Zielgruppen zur Verfügung zu stellen".
Regelmäßig lässt die AGF prüfen, ob die täglich ermittelten Daten weiterhin diesen Standards genügen – zuletzt im vergangenen Jahr. In 1480 Telefon-Interviews wurden Panel-Teilnehmer gefragt, was sie gerade, als das Telefon geklingelt hat, im Fernsehen gesehen haben. Die Antworten wurden mit den Daten abgeglichen, die das GfK-Meter zu dieser Zeit maß, also die Box, die aufzeichnet, was ferngesehen wird (und von wem).
Auf diese Weise lassen sich Abweichungen feststellen, zum Beispiel, wenn Leute behaupten, eine Sendung eingeschaltet zu haben, aber die Box etwas ganz anderes registriert. Deutlich über 90 Prozent der Befragten machten jedoch richtige Angaben. Am Ende kamen die Tester zu dem Urteil, "dass die durch die Panelteilnehmer generierten Daten von gleichbleibender Qualität sind".
Mit einer Ausnahme: Wegen der sich ändernden Mediennutzung wurde erstmals auch die Second-Screen-Nutzung abgefragt. Dabei stellte sich heraus, dass in der Tat viele Panel-Teilnehmer, während sie fernsehen, auch noch den Laptop, das Smartphone oder ein Tablet benutzen. Im Laufe des Abends sank die Nutzung von PC und Notebooks kontinuierlich, dafür stieg die von Tablets und Smartphones. Und genau das ist der springende Punkt – weil Teilnehmer, die einen solchen Second Screen beim Fernsehen nutzen, deutlich öfter vergessen, sich bei ihrer Box anzumelden, damit die ihnen die Nutzung des Programms zuordnen kann.
Von denen, die "keine Nebentätigkeit" ausübten, vergaßen lediglich 5,3 Prozent die Anmeldung; bei den Nutzern von PCs und Laptops waren es schon 11,1 Prozent. Und bei denen, die mit Tablet oder Smartphone surfen, stieg der Anteil auf 16,1 Prozent. Das ist deshalb nicht unwichtig, weil der Autor der Test-Zusammenfassung (erschienen in "Media Perspektiven" 12/2014) gleichzeitig feststellt, dass das An- und Abmeldeverhalten der Panelteilnehmer "ein zentraler Faktor [ist], der die Qualität der generierten Nutzungsdaten bestimmt": "Wenn die Panelteilnehmer den ihnen zugewiesenen 'Job', sich korrekt an der Fernbedienung an- und abzumelden, nicht ernst nehmen, sind alle anderen Bemühungen bedeutungslos." Die Second-Screen-Nutzung scheint aber genau das zu befördern – vor allem bei den jungen Zuschauern.
"Die Anmeldedisziplin bei jungen Zuschauern ist nicht so ausgeprägt wie bei Älteren."
Bernhard Engel, Sprecher der Technischen Kommission der AGF
So nutzten fast ein Fünftel aller 30- bis 39-Jährigen in den befragten Haushalten einen PC oder Laptop beim Fernsehen (19,4 Prozent), 11,1 Prozent ein Tablet oder Smartphone. Bei den 14- bis 19-Jährigen registrierten die Prüfer eine Smartphone/Tablet-Nutzung von 44,4 Prozent.
Bernhard Engel, Sprecher der Technischen Kommission der AGF, erklärt gegenüber DWDL.de, dass "die Anmeldedisziplin" in der jungen Altersgruppe generell "nicht so ausgeprägt ist wie bei Älteren, [deshalb] verwundert es nicht, dass dieser Effekt jetzt auch bei der Second Screen Nutzung durchschlägt". Die AGF untersuche bereits über einen längeren Zeitraum, wie viel Nutzung durch die Nichtanmeldung "verloren" gehe. Wieviel das ist, will Engel nicht sagen. Er erklärt jedoch, "dass man auch bei einer Nicht-Anmeldung Fernsehnutzung beobachten kann (...) und sich Nicht-Anmelder teilweise einfach nur verspätet anmelden".
Schaltet ein Teilnehmer den Fernseher ein, sagt dem GfK-Meter aber nicht, wer er ist, misst die Box zunächst einmal, dass überhaupt ferngesehen wird – sie kann das nur keiner Person zuordnen. Registriert wird aber zum Beispiel ein Senderwechsel, ein eingeschalteter Teletext oder die Veränderung der Lautstärke. Liegen solche Indizien vor, und der Teilnehmer merkt beispielsweise nach 30 Minuten, dass er vergessen hat, sich anzumelden, wird ihm die Nutzung davor zugeordnet, sobald er das nachholt. Dafür ist aber eine Aktion und eine Verifizierung notwendig – gibt es die nicht, wird die Nutzung vor der Anmeldung nicht zugeordnet.
Vor allem für kleinere Sender, die sich explizit an junge Zielgruppen richten, kann das zum Problem werden – weil ihnen, wenn ihre Zuschauer häufig Second Screens nutzen und deswegen die Anmeldung versäumen, ein Teil der Nutzung ihres Programms in der Messung verloren geht. Und dieser Effekt nicht, wie bei größeren Sendern, über die Masse ausgeglichen werden kann.
Die kleinen Sender wollen sich zu dieser heiklen Angelegenheit lieber nicht ausführlich äußern. "Wir sehen uns nicht mehr als andere Sender benachteiligt", erklärt Discovery (DMAX, TLC). Tele 5, Viacom und Disney Channel wollen gar nichts sagen. Olaf Schröder, Vorsitzender der Geschäftsführung von Sport1, erklärt immerhin: "Wenn Nutzung verlorengeht bzw. nicht gemessen wird, entstehen dadurch grundsätzlich Nachteile für jeden Sender, weil diese Nutzung nicht vermarktet werden kann." Generell vertrauen die Sender darauf, dass die AGF das Problem lösen werde.
Bloß wie? Immerhin fordern viele Sender ihre Nutzer inzwischen aktiv zur Second-Screen-Nutzung auf. RTL wirbt für seine "RTLinside"-App, ProSieben hat "ProSieben Connect" und das ZDF seine Mediathek-App gerade entsprechend aufgerüstet. Engel von der AGF erklärt, dass Anmeldungen vor allem von Zuschauern vergessen würden, die im eigenen Zimmer (z.B. Kinder im Kinderzimmer) oder im Ein-Personen-Haushalt fernsehen. "Hier gibt es Möglichkeiten, die Nutzung eines Gerätes ohne Personenanmeldung einer Person nach kontrollierten Regeln zuzuordnen." Zum Beispiel nach besagtem Senderwechsel. "Dieses Verfahren ist methodisch getestet und wird demnächst produktiv eingesetzt."