Ein Intendant, der den Vertrag für seinen neuen TV-Kanal mit dem eigenen Blut unterschreibt? Ein Hausmeister als Senderchef, der vor der Selbstverbrennung noch eilig seine spätere Nachfolgerin zeugt? Und ein Roboter als Kulturmagazin-Moderator? Ganz so wild wie in der rätselhaften Satire "Die wirklich wahre Geschichte von 3sat", die am kommenden Wochenende im Programm läuft, ist es damals wohl nicht zugegangen, als 3sat zum 1. Dezember 1984 an den Start gebracht wurde.
Eigentlich hatten die Intendanten von ZDF, ORF und SRG (Foto unten) im Überschwang der Möglichkeiten des neu gestarteten Kabelfernsehens ja vor, ein Programm zu schaffen, wo sie ein Best-of der TV-Leistungen der drei Länder abliefern könnten. Mit der Zeit hat sich das auf diese Weise entstandene 3sat aber klar als Sender für Zuschauer etabliert, denen im übrigen Programm die Kultur vermissen. Seit 1993 ist auch die ARD mit im Boot.
Am Montagabend feierte der deutsch-österreichisch-schweizerische Nischenkanal in Berlin seinen 30. Geburtstag in der Schweizer Botschaft deshalb mit maximaler Intendantenbesetzung. Gottfried Langenstein, Vorsitzender der 3sat-Geschäftsleitung und Direktor Europäische Satellitenprogramme beim ZDF, erklärte den Sender zur "deutschsprachigen Plattform für Weltläufigkeit" und einem "kulturellen Fernsehabenteuer für den Geist". Dem wollten die übrigen Gratulanten nicht nachstehen und lobten den "Glücksfall" (SRG-SSR-Generaldirektor Roger de Weck), als "Projekt mit Zukunft" (ORF-Intendant Alexander Wrabetz), als "Kleinod des deutschen Fernsehens" (ARD-Vorsitzender Lutz Marmor), als "mediales Mekka für Fernsehfeinschmecker" und "audiovisuelles Fernsehabenteuer vom Feinsten" (Kulturstaatssekretärin Monika Grütters).
Die Geburtstagswoche begeht der Sender mit Thementagen: Am Wochenende reisten die Zuschauer "In 24 Stunden um die Welt" und bekamen bis tief in die Nacht Bühnenstücke und Theaterfilme gezeigt. "Wer hat am Samstagabend sonst schon Opern in der Primetime?", erinnerte ZDF-Intendant Thomas Bellut.
An diesem Dienstag laufen zahlreiche Dokumentarfilme, abends etwa die unbedingt empfehlenswerte Doku "Der Banker – Master of the Universe", in der Regisseur Marc Bauder einen ehemaligen Investmentbanker in einem verlassenen Frankfurter Büroturm von der Faszination und der Gefährlichkeit des Systems erzählen lässt, dessen Teil er über viele Jahre war. Am Wochenende folgt schließlich die von William Cohn ("neo Magazin") moderierte und allenfalls mäßig originelle "Mockumentary", eine "fiktive Räuberpistole" über die eigene Geschichte mit kryptischem Witz und eingestreuten Original-Fundstücken früherer Sendungen.
Über die Probleme wird zum Geburtstag natürlich nicht gesprochen, zumal 3sat Langenstein zufolge die höchsten Einschaltquoten seit seiner Gründung habe: "Offensichtlich wird das Konzept des Qualitätsprogramms aus drei Ländern und der inhaltlichen Vertiefung mit Themenwochen und Thementagen gerade im Internetzeitalter positiv honoriert." Er wolle junge Menschen für "das Abenteuer Denken" gewinnen, erklärt der 3sat-Chef unablässig. Warum sein Sender dann immer noch aussieht als sei er in den Neunzigern stehen geblieben, sagt er leider nicht.
Das 3sat-Problem ist, dass der Kanal sich aus Beiträgen zusammensetzt, die von den kooperierenden Sendern sowieso produziert werden. Partner wie der ORF haben originäre Produktionen komplett eingestellt. Im Wesentlichen muss sich 3sat über den soliden Magazinjournalismus bei "Nano", "Makro", "Kulturzeit" und "Scobel" in Erinnerung rufen. Das passiert aber zum Teil mit Mitteln und aus Studios, die wie aus der Zeit gefallen wirken.
Experimente kommen eher von der deutsch-französischen Kultur- und Schlaumach-Konkurrenz Arte, wo in diesem Jahr "24 h Jerusalem" lief und am vergangenen Samstag die höchst faszinierende Arktis-Reportagereihe "Polar Sea 360º" startete, die sich nicht nur am Fernseher, sondern auch per Smartphone-App und am Computer entdecken lässt.
Sowieso hat Arte, was den Transfer seines Programms ins Netzzeitalter angeht, immerzu die Nase vorn und gehört zu den ersten Sendern, die Mediatheken-Apps für neue Systeme veröffentlichen, die Fernsehen und Netz zusammenbringen (wie Googles Chromecast oder Amazons Fire-TV-Box). Bei 3sat kann man froh sein, sich in der veralteten Mediatheken-Übersicht im Browser zurechtzufinden.
Den Sender für neue Zielgruppen zu öffnen und Sendungen des quasi eingestellten ZDF.kultur zu sich zu holen, ist versäumt worden. Ausnahmen wie die "zdf@bauhaus"-Live-Konzerte mit aufstrebenden Künstlern aus der Independent- und Elektro-Szene werden tief in der Nacht verbraten; und wer die von ZDF.kultur zwangsgeerbte Übertragung des "Hurricane Festivals" in diesem Jahr verfolgen wollte, konnte das montagnachts von 1 Uhr bis 5 Uhr tun. (Korrektur: An einem Abend im Juni zeigte 3sat auch eine Übertragung ab 20.15 Uhr; die Nachtausstrahlungen gelten für die aufgezeichneten Einzelkonzerte.) Das Signal könnte deutlicher nicht sein: 3sat macht Kultur für Leute, die sich damit auskennen. Der Rest läuft, wenn keiner hinsieht.
Fürs neue Jahr ist unter anderem ein Themenabend zur Befreiung von Auschwitz und eine Schwerpunktreihe zum Krieg aus Sucht von Kindern geplant. Bestrebungen, tatsächlich ein jüngeres Publikum zu erreichen, sind bislang nicht ersichtlich. Damit begeht 3sat in der Nische exakt denselben Fehler wie die großen Programme im Mainstream.
"Mit der Netzkultur haben sich die Erwartungen an die Darstellung und die Form der Inhalte verändert", meint der 3sat-Chef - und hat Recht. Zu welchem Geburtstag will 3sat daraus die Konsequenzen ziehen?