Öffentlich-rechtliche Anstaltsmühlen mahlen mitunter langsam. Kluge Reformer haben das im Kopf und versehen ihre Ideen zur Veränderung mit einem realistischen Umsetzungstempo. Heike Hempel ist so eine kluge Reformerin. Die Chefin der ZDF-Hauptredaktion Fernsehfilm/Serie II erkannte schon vor knapp zwei Jahren im DWDL.de-Interview: "Eine Marke braucht eine Weile, um sich zu etablieren" - und meinte damals das noch junge Label "Herzkino".
Damals, im Dezember 2012, war Heike Hempel mit ihrem Fiction-Output mitten im Modernisierungsprozess und sie ist es heute immer noch. Vermutlich ändern sich die Nutzungsgewohnheiten inzwischen auch zu schnell, als dass man damit jemals richtig fertig sein könnte. Auf der einen Seite herrscht Konstanz: Die höchst beliebten "Rosenheim-Cops", die am Dienstag mit 27 neuen Folgen in ihre 14. Staffel starten, haben maßgeblichen Anteil daran, dass das ZDF-Werbefernsehen seinen Vorabend gerade als "Die neue Primetime" vermarkten kann.
Auf der anderen Seite nutzt Hempel ihre 19.25-Uhr-Schiene freitags und samstags konsequent, um ihrem Ideal der "Familienserie 2.0" zu folgen und neue Stoffe jenseits des Krimis auszuprobieren. Die nächste Stufe zündet sie diesen Freitag mit "Dr. Klein", der ersten Serie rund um eine kleinwüchsige Protagonistin: ChrisTine Urspruch ("Das Sams", "Tatort" Münster) spielt eine erfolgreiche, unkonventionelle Kinderärztin, die ihre neue Klinik in Stuttgart gehörig aufmischt. "Wir befinden uns mitten im laufenden Prozess der Modernisierung und 'Dr. Klein' ist ein logischer nächster und auch großer Schritt. Die Serie hat einen klaren USP, eine bestechend einfache Grundidee", sagt Hempel im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de.
Was Headautor Torsten Lenkeit und Produzent Oliver Vogel von der Bavaria Fernsehproduktion da liefern, ist schon ziemlich plakativ: eine kleinwüchsige Ärztin, die Dr. Klein heißt, und ihren Rivalen im machohaften Kollegen Dr. Lang findet. Das könnte schnell peinlich wirken, wenn die Mischung aus humorvoller Grundtonalität und durchaus heftigen Kontroversen nicht so charmant gelungen wäre. "Modernität macht sich für mich daran fest, wie wir Serienfiguren erzählen - nämlich auf Augenhöhe und mit ihrer ganz eigenen Komplexität", so Hempel. "Dazu kommt eine konsequente horizontale Erzählweise: Das Handeln der Figuren zeigt stets Konsequenzen für die nachfolgenden Episoden."
Das gilt ebenso für die zweite Staffel der von ITV Studios produzierten Christian-Pfannenschmidt-Serie "Herzensbrecher - Vater von vier Söhnen", die am vergangenen Samstag angelaufen ist. Dem verwitweten Pfarrer Andreas Tabarius (Simon Böer) fällt es darin immer schwerer, Privatleben und Job unter einen Hut zu kriegen. "Wir geben den Figuren in der zweiten Staffel noch mehr Tiefe und erzählen ernsthaftere Geschichten", lautet Hempels Rezept zur Weiterentwicklung. Von zwei neuen Samstagsserien der vergangenen zwölf Monate hat sich eine durchgesetzt und geht weiter - keine schlechte Erfolgsquote.
Die von der Bavaria zugelieferte "Familiendetektivin" blieb dagegen auf der Strecke. "Sie hat ihr Publikum leider nicht so recht gefunden", diagnostiziert Hempel. "Offenbar fühlten sich weder die Jüngeren noch die Älteren angesprochen - möglicherweise, weil sie eine gewisse Überkonstruktion gespürt haben." An "Dr. Klein" und "Herzensbrecher" schließen sich ab 2. bzw. 3. Januar 2015 freitags "Bettys Diagnose" (produziert von Network Movie) und samstags "Sibel & Max" (ndF) an. Bettina Lamprecht ("Pastewka", "heute-show") gibt die resolute Krankenschwester Bettina "Betty" Dewald, Idil Üner ("Mordkommission Istanbul") und Marc Oliver Schulze ("Männerhort") sind als deutsch-türkisches Ärztepaar in einer Hamburger Notarzt-Kiez-Praxis zu sehen.
Etwas neue Töne schlägt auch das "Herzkino" am Sonntagabend an, das mit 33 Erstausstrahlungen jährlich zu jeweils einem Drittel aus Traditionsmarken wie "Rosamunde Pilcher", Reihen wie "Ein Sommer in..." sowie Einzelstücken der Genres Melodram und Romantic Comedy besteht. Als eine Art Statement zum 25-Jährigen des Mauerfalls läuft am 9. November der ebenso bewegende wie spannende Film "Zwischen den Zeiten" (Ninety-Minute Film). Sophie von Kessel spielt darin die Software-Ingenieurin Annette, die am (real existierenden) Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik die (gleichfalls real existierende) Rekonstruktionstechnik für zerrissene Stasi-Akten entwickelt hat. Bald steht sie nicht nur zwischen zwei Männern, vor einer Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit, sondern auch vor der gesellschaftspolitischen Frage: Wie viel Vergangenheit verträgt die Gegenwart?
"'Zwischen den Zeiten' gibt meines Erachtens eine klare, vorbildliche Antwort auf die Frage, wie zeitgenössisches Melodram aussehen kann", sagt Heike Hempel. "Auch in diesem Genre sollte man den Zuschauer keinesfalls unterschätzen." Das Besondere an dem Film: Um so authentisch wie möglich zu wirken, haben Produzent Ivo-Alexander Beck und die Drehbuchautoren Sarah Schnier und Carl-Christian Demke eng mit der Stiftung für MINT-Entertainment-Education-Excellence zusammengearbeitet, die den Austausch von Wissenschaft und Fiction fördert. Gedreht wurde über weite Strecken in der echten Maschinenhalle des Fraunhofer-Instituts in Berlin.
Wer "Herzkino"-Stücke wie dieses sieht, kann erahnen, dass ZDF-Fiction-Frau Hempel einen spannenden Kurs steuert. "Wir werden weiterhin klar in den Markt kommunizieren, was wir haben wollen, und damit auch manches Klischee widerlegen", verspricht sie. "In dem Moment, wo ein Sender den Weg der 'more of the same'-Bestellungen verlässt, ist die Beweglichkeit der Produzenten besonders herausgefordert."