Das Wort "Jugendkanal" nimmt in Baden-Baden keiner in den Mund. Beim Besuch des Medienmagazins DWDL.de in der Keimzelle für den geplanten Ableger von ARD und ZDF fällt auf, dass stets vom "crossmedialen jungen Angebot" die Rede ist. Oder seltener, und nur intern, vom "CMA" – nicht zu verwechseln mit der früheren Agrarmarketing-Organisation gleichen Namens. "Wir benutzen den Begriff 'Jugendkanal' nicht, weil er doppelt falsch ist", erklärt Yvonne Olberding, die das Projekt als ARD-Koordinatorin steuert. "Erstens wird es mehr als nur ein linearer Kanal, zweitens sind nicht nur Jugendliche angesprochen, sondern alle von 14 bis 29."

Am Rande des beschaulichen Kurorts, im Günter-Eich-Haus auf dem SWR-Campus, herrscht gemischte Stimmung. Die Euphorie, mit der man hier im 2012 eingerichteten E-Lab junge Formate für EinsPlus, SWR3 und DasDing entwickelt, ist noch immer greifbar. Daneben machen sich Ungeduld und Ungewissheit breit. Die Finanzierung des auf drei Jahre angelegten Entwicklungslabors läuft im Dezember aus. Beim SWR war man immer davon ausgegangen, man könne es nahtlos in die große Lösung der Öffentlich-Rechtlichen überführen. Doch das ist angesichts der politischen Verzögerungen nun unmöglich geworden.



Erst im Oktober werden sich die Ministerpräsidenten erneut mit dem Mammutprojekt befassen, nachdem sie ihre Entscheidung bereits zweimal vertagt haben. Zu dürftig war ihnen das von ARD und ZDF vorgelegte Konzept bisher ausgefallen, zu viele offene Fragen und Widersprüche. Mal ganz davon abgesehen, dass noch längst nicht alle Länderchefs von der generellen Notwendigkeit eines solchen Angebots überzeugt sind. Bestenfalls geben sie im Oktober grünes Licht – selbst dann ist ein Sendestart vor Anfang 2016 unrealistisch. Schlimmstenfalls fällt das endgültige Todesurteil, mit einer weiteren Vertagung rechnet niemand mehr.

Um die Ministerpräsidenten diesmal zu überzeugen, sollen sie nicht nur weitere schriftliche Erläuterungen bekommen, sondern auf Anregung des ARD-Vorsitzenden Lutz Marmor erstmals auch ein Video, das die Pläne der Programmmacher veranschaulicht. Dem Vernehmen nach ist dafür eine 15-minütige Vorführung am Vorabend der Ministerpräsidentenkonferenz Mitte Oktober vorgesehen. Seit kurzem ist der Präsentationstrailer fertig, maßgeblich entstanden bei den E-Lab-Spezialisten in Baden-Baden. Jetzt liegt das Band im Safe von SWR-Intendant Peter Boudgoust, um ein Leak vor dem großen Auftritt möglichst zu verhindern.

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass jetzt noch Fragen offen bleiben", sagt EinsPlus-Programmchef Alexander von Harling. "Jetzt ist es eine Frage des politischen Willens." Für ihn und seine Mannschaft bedeutet die Verzögerung im Alltag, reihenweise Produzenten und Mitarbeiter mit guten Ideen hinhalten zu müssen. "Wir konnten in den vergangenen Monaten nicht einfach ungebremst weitere Formate beauftragen und produzieren, weil wir ja nicht wussten, wie es weitergeht. Momentan sind wir immer noch in Wartestellung." Für das neue crossmediale Angebot fehlt es noch am gesetzlichen Auftrag, für das bestehende E-Lab und damit auch die junge Primetime in EinsPlus muss der SWR erst einen Übergangstopf finden, der ab Anfang 2015 einspringen kann. "Glücklicherweise haben wir es überwiegend mit verständnisvollen Produzenten zu tun, die uns inzwischen gut kennen", fügt Yvonne Olberding hinzu.

Auch wenn die Schlagzahl neuer Formate für diesen Herbst nicht so hoch ausfällt wie im vorigen Jahr, sitzt EinsPlus nicht völlig auf dem Trockenen. So startet etwa am 16. September die zweite Staffel des Couchsurfing-Abenteuers "Auf 3 Sofas durch...". Videoreporter Thomas Niemietz reist in sechs neuen Folgen nach Paris, Warschau, Mumbai, Los Angeles, Schottland sowie auf eine Mittelmeerinsel und muss dort jeweils drei Menschen finden, die ihn auf ihrer Couch übernachten lassen und ihm ihre Heimat zeigen. Für den Spätsommer steht eine weitere Reise auf dem Programm: "Soundwave2Berlin" begleitet die beiden Tontechnik-Studenten Hannes und Benni auf ihrer 27.500 Seemeilen langen Weltumseglung von Australien nach Berlin, auf der sie gemeinsam mit Künstlern aus aller Welt Musik aufnehmen.

Am 5. Oktober zeigt EinsPlus zur besten Sendezeit fünf Kurzfilme von Studenten der Filmakademie Ludwigsburg, die in Koproduktion mit dem SWR entstanden sind. Bereits seit dem 27. Juli läuft das journalistische Format "Crowdspondent", das zwei 26-jährige Absolventinnen der Deutschen Journalistenschule auf ihrer Recherchereise quer durch Deutschland begleitet. Lisa Altmeier und Steffi Fetz haben ihr Vorhaben per Crowdfunding finanziert – jetzt sind sie drei Monate unterwegs, um per Mail, Social Networks oder im persönlichen Gespräch Rechercheaufträge anzunehmen und umzusetzen. Den meisten EinsPlus-Formaten ist gemein, dass sie schon Wochen vor der TV-Ausstrahlung im Netz Premiere feiern.

Sendebetrieb herrscht während der DWDL.de-Visite nicht im E-Lab. Alle Kameras und Scheinwerfer sind aus in dem multimedial vernetzten HD-Studio, dessen Technik und Personal darauf ausgerichtet sind, TV, Radio und Internet zu verbinden. Die Baden-Badener E-Lab-Mannschaft ist ausgeflogen – der Sommer ist für sie vor allem Festivalzeit. Von "Rock am Ring" Anfang Juni bis zum "SWR3 New Pop Festival" Mitte September entstehen für EinsPlus, SWR3 und DasDing zig Stunden an Berichterstattung und Live-Übertragungen. Auch und gerade online gibt das junge Team dabei mit Blogs, Videos, Fotogalerien und Live-Streams kräftig Gas. Wenig überraschend markierte in diesem Jahr erneut "Rock am Ring" mit Top-Acts wie Metallica, Linkin Park oder Kings of Leon den Reichweiten-Höhepunkt: 2,9 Millionen TV-Zuschauer insgesamt schalteten an den vier Festivaltagen EinsPlus ein, rund 1,5 Millionen Mal wurde der HD-Live-Stream auf SWR3.de und DasDing.de abgerufen.

Der privaten Konkurrenz ist die gegenseitige crossmediale Bewerbung ein Dorn im Auge, zumal sie darin nur einen Vorgeschmack auf das künftige Gemeinschaftsangebot von ARD und ZDF sieht. Die geplante Trimedialität des Jugendkanals dürfe nicht mit Crosspromotion-Aktivitäten verbunden werden, die dem privaten Rundfunk wettbewerbsrechtlich untersagt oder nicht möglich seien, forderte etwa Ex-BLM-Präsident Wolf-Dieter Ring auf einer VPRT-Veranstaltung – und nannte als Negativbeispiel die "Rock am Ring"-Kooperation des SWR. DasDing-Programmchef Wolfgang Gushurst hält dagegen: "Die Art und Weise, wie wir flächendeckende, crossmediale Festivalberichterstattung anbieten, ist Bestandteil öffentlich-rechtlicher Kernkompetenz und entspricht unserem Kulturauftrag." Als MTV noch "Rock am Ring" übertrug, seien in der Primetime meist nur die massentauglichen Headliner zu sehen gewesen. So oder so muss man im E-Lab noch etwas zittern, bis der Festivalsommer vorüber und die Entscheidung der Ministerpräsidenten da ist.