An Marktanteile um 14 Prozent hat man sich bei RTL inzwischen bereits seit gut einem Jahr gewöhnt. Doch es ist gar nicht so sehr die Primetime, die den Sender derzeit schwächt. Das sieht auch RTL-Programmgeschäftsführer Frank Hoffmann so. "Wir verlieren die Zuschauer nicht primär am Abend, wo wir maßgeblich unser Geld verdienen, sondern vor allem am Nachmittag", sagte er kürzlich in einem Interview mit dem "Spiegel" (DWDL.de berichtete). Grund genug, sich die Quoten dieser Zeitschiene mal genauer anzusehen. Tatsächlich ist dort derzeit ein beinahe beispielloser Abwärtstrend der Scripted Realitys zu bestaunen.
Formate, wie "Familien im Brennpunkt", die noch 2011 einen nahezu sensationellen Jahresschnitt von fast 30 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen erzielten, liegen aktuell nur noch um 14 Prozent - und haben damit innerhalb weniger Jahre mal eben die Hälfte ihrer Zuschauer eingebüßt. Dass "Familien im Brennpunkt" zuletzt die Marke von 30 Prozent übersprang, ist auf den Mai 2012 datiert. Die Hürde von 20 Prozent wurde zuletzt im Oktober vergangenen Jahres übersprungen - also vor rund einem halben Jahr. Die Ausschläge nach oben werden für Formate dieser Art bei RTL jedenfalls immer seltener.
Langzeittrend: Familien im Brennpunkt
Gleichzeitig ist der Erfolg, den ProSieben mit seinen Sitcoms am Nachmittag einfährt, nach wie vor ungebrochen, auch wenn sich hier beispielsweise die Frage stellt, wann bei den Zuschauern erste Ermüdungserscheinungen eintreten werden. Doch so lange "The Big Bang Theory", wie am vergangenen Freitag geschehen, Marktanteile von bis 23 Prozent in der Zielgruppe einfährt, kann man sich in Unterföhring noch zurücklehnen. Ganz anders die Situation in Köln. Dort hat die Mannschaft um Frank Hoffmann längst damit begonnen, sich nach Alternativen für die durchhängenden Scripted Realitys zu suchen.
Bereits in der kommenden Woche lässt man "Die Trovatos" zugunsten einer neuen Dekosoap pausieren, die das "Shopping Queen"-Erfolgsrezept auf Wohnungen aufgreift. In "5 Zimmer 1 Gewinner" richten fünf Kandidaten mit unterschiedlichem Einrichtungsgeschmack einen Raum nach einem vorgegebenen Motto komplett neu ein - allerdings in Konkurrenz zu vier anderen Bewerbern und unter de kritischen Kommentaren eines Design-Experten. Anschließend werden die Zimmer gegenseitig bewertet - und wer am Ende die meisten Punkte hat, darf sich über 2.500 Euro freuen. RTL kommt damit am Nachmittag erstmals seit Jahren gänzlich ohne Krawall daher.
Ob der zunächst zweiwöchige Test vom Publikum angenommen wird, steht zwar auf einem anderen Blatt, doch das Bemühen, nach Alternativen für die gescripteten Formate zu suchen, ist vorhanden. Bei Vox, wo Hoffmann einst mit "Verklag mich doch" ebenfalls eine Form der Scripted Reality einführte, will man künftig sogar komplett ohne diese Farbe auskommen. Die Rechtsstreit-Doku wird jedenfalls schon längst nicht mehr produziert und soll nach und nach aus dem Nachmittagsprogramm verschwinden. Stattdessen soll es hier ab Ende April die mit mäßigen Quoten zur Mittagszeit getestete Straßen-Quiz "Wer weiß es, wer weiß es nicht?" richten.
Kein Wunder: Der Erfolg der "Shopping Queen" hat eindrucksvoll bewiesen, dass die Zuschauer durchaus offen sind für Sendungen, die im Vergleich zu den oft prollig daherkommenden Scripted Realitys fast schon harmlos wirken. Dass Scripted Reality auf absehbare Zeit komplett vom Bildschirm verschwinden wird, erscheint aber unwahrscheinlich. Zu viele Spielformen haben sich mittlerweile im deutschen Fernsehen breit gemacht. Man denke nur an die RTL II-Soaps "Köln 50667" und "Berlin - Tag & Nacht", die nach wie vor für zweistellige Marktanteile am Vorabend gut sind. Noch dazu steigerten sich die aus Frank Schmidts Produktionsschmiede stammenden "Autoeintreiber" gerade erst auf ein beachtliches Quoten-Niveau.
Und dann wäre da auch noch Sat.1. Dort ist man nach mehreren erfolglosen Versuchen, ein Magazin oder eine Kuppelshow am Nachmittag zu etablieren, inzwischen wieder zu Laien-Schauspielern zurückgekehrt. Tatsächlich liefern "Im Namen der Gerechtigkeit" oder "Anwälte im Einsatz" dem Sender in der Regel zweistellige Marktanteile. Den Beweis, dauerhaft erfolgreich zu sein, müssen sie jedoch erst noch erbringen. Klar ist aber auch, dass die Zuschauer erstaunlich schnell müde geworden sind von den oft kruden und manchmal peinlichen, fast immer überdrehten Geschichten im Nachmittagsprogramm der Privaten. Jetzt sind wieder neue Ideen gefragt. Womit wir wieder bei Frank Hoffmanns Satz vom Anfang wären. Doch der RTL-Programmgeschäftsführer gibt sich optimtisch: Die Situation, Zuschauer zu verlieren habe man schön öfter gehabt - und sie bislang immer gemeistert.