Es gab Zeiten, da konnte es gar nicht groß genug sein für die Töchter von ARD und ZDF. Die Zeichen standen auf ungebremstem Wachstum und krakenartiger Ausbreitung. Vor allem Studio Hamburg und Bavaria Film wurden so zu Giganten der deutschen Produktionswirtschaft, quer durch alle Geschäftsfelder, die vor der Ausstrahlung einer fertigen Sendung anfallen. Genau genommen, sind diese Zeiten noch gar nicht lange her. Und vermutlich hat noch nicht jeder der Beteiligten begriffen, dass diese Zeiten jetzt vorbei sind.
Doch schneller, als es den öffentlich-rechtlichen Anstaltsfürsten lieb sein kann, sind ihre Produktionskonzerne zu Sanierungsfällen geworden. Das machen die jüngsten Personalien überdeutlich. Mehr als ein halbes Jahr hat es gedauert, bis nach vielen Absagen endlich der neue Holding-Chef für die Studio Hamburg Gruppe gefunden ist: Johannes Züll, ein verdienter Aufräumer für schwere bis hoffnungslose Fälle. Bei der Bavaria steht der gleiche Prozess nun bevor, weil dort Matthias Esche gehen will oder gehen muss - so genau lässt sich das von außen nicht sagen.
Bei 231 Millionen Euro Umsatz hat die NDR-Tochter Studio Hamburg im Jahr 2012 rund 13 Millionen Euro Verlust gemacht. Ein Jahr zuvor waren es knapp drei Millionen Miese, zwei Jahre zuvor noch zwei Millionen Gewinn. Die roten Zahlen produziert der völlig überdimensionierte Geschäftsbereich Atelier & Technik, der seit geraumer Zeit alles andere als ausgelastet ist. Sowohl in Hamburg-Tonndorf als auch in Berlin-Adlershof stehen Studios leer. 10.000 Quadratmeter seines Hamburger Studiogeländes hat das Unternehmen zwecks Wohnbebauung geräumt, die komplette Filmtechnik an die Bavaria verkauft. Die Berliner Studios will man ganz oder teilweise loswerden, muss dafür aber vermutlich noch draufzahlen.
NDR-Intendant Lutz Marmor, der als Realist und kluger Kopf im ARD-Verbund hervorsticht, hat mit RTL-Manager Züll einen guten Griff getan. Der erfahrene Sanierer hatte in schweren Zeiten erst RTL interactive, dann n-tv auf neue Beine gestellt. Bei beiden Verlustbringern ging das damals nur mit schmerzhaften Einsparungen. In den vergangenen drei Jahren schaffte Züll für die RTL Group einen erfolgreichen Turn-around in Kroatien. Ob seine Aufgabe in Hamburg leichter wird als die in Zagreb, darf bezweifelt werden. Klug ist Marmors Wahl freilich auch deshalb, weil Züll keine ARD-Historie hat und somit beim Stutzen des Kolosses keine übertriebene Rücksicht auf gewachsene Netzwerke nehmen muss.
Komplizierter ist die Lage in München bei der Bavaria Film, wo nicht nur ein Sender als Gesellschafter das Sagen hat, sondern WDR, SWR, BR und MDR indirekt beteiligt sind. Wesentliche Töchter wie die Bavaria Fernsehproduktion oder die Bavaria Studios & Production Services werden zudem gemeinsam mit dem ZDF betrieben. Für ihr Geschäftsjahr 2012/13 hat die Bavaria Film GmbH einen Fehlbetrag von 5,5 Millionen Euro vermeldet - nachdem ein Jahr zuvor noch ein Plus von 4,2 Millionen zu verzeichnen war.
Schuld daran war unter anderem eine dramatische Bilanzwert-Abschreibung auf die Beteiligung an der börsennotierten, insolventen CineMedia Film AG - vorläufiger Höhepunkt eines ohnehin fragwürdigen Finanz-Abenteuers. Aber Noch-Geschäftsführer Esche geriet auch im Kerngeschäft mit den Intendanten in seinem Aufsichtsrat aneinander, als das Budget für den von Dominik Graf gedrehten Kinofilm "Die geliebten Schwestern" um sage und schreibe 1,9 Millionen Euro überschritten wurde. Seit dazu eine interne Untersuchungskommission eingesetzt und der Schwarze Peter innerhalb der Bavaria hin- und hergeschoben wurde, galt Esche als angeschlagen.
Auch im Reich von Achim Rohnke, dem zweiten Holding-Chef der Bavaria, verantwortlich für Technik und Dienstleistungen, ist längst ein schwer zähmbarer Koloss entstanden. Beide Geschäftsführer, so erzählt der Flurfunk, kommunizierten vor allem schriftlich über ihre Sekretariate miteinander. Private Mitbewerber aus der technischen Zulieferung für Film- und Fernsehproduktionen klagen seit Jahren über marktverzerrende Dumpingpreise der öffentlich-rechtlichen Dienstleister, Rohnke & Co. widersprechen solchen Vorwürfen ebenso gebetsmühlenartig.
Doch die Strukturen lassen immer wieder aufhorchen. Jahrelang konnten zwei Manager der Bavaria-Tochter Cine-Mobil ungehindert in die eigene Tasche wirtschaften, indem sie Lkws und Stromgeneratoren aus ihrer privaten Firma quasi an sich selbst vermieteten. Rohnke stoppte diese Praxis 2011, indem er die Lkw-Firma kaufte. Seither ist der Kamera-, Licht- und Bühnentechnik-Dienstleister Cine-Mobil rasant gewachsen: 2012 schluckte er das Verleihgeschäft der Traditionsfirma Panther Rental an den Standorten München, Hamburg und Berlin sowie den Technikverleih der Berliner Union Film, 2013 folgte die Filmtechnik von Studio Hamburg.
Welcher der beiden ARD-Ableger dabei das schlechtere Geschäft gemacht hat, ist schwer zu sagen. Einen Teil des Kaufpreises zahlte die Bavaria jedenfalls nicht in bar an Studio Hamburg, sondern in CineMedia-Aktien - obwohl die Firma zu diesem Zeitpunkt bereits in finanzieller Schieflage war. Wenige Monate nach dem Deal folgte die CineMedia-Insolvenz. Nach eigenen Angaben hält Studio Hamburg einen Anteil "im unteren einstelligen Prozentbereich". Man scheint sich in München und Hamburg auch gegenseitig nicht zu schonen.
Klar ist schon jetzt, dass die Aufräumarbeit für Züll und den noch zu findenden Bavaria-Boss gewaltig wird. Beide bekommen es mit Geflechten zu tun, die über jedes gesunde Maß hinausgewuchert sind und eine Reihe struktureller Verlustbringer enthalten. Was Produzentenverbände seit Jahren fordern, könnte nun aus purer Not zumindest teilweise wahr werden - eine Schrumpfkur für die öffentlich-rechtlichen Produktionsriesen.