Noch zwei Tage bis zur Stunde der Wahrheit. Die Programmplanung von RTL gibt sich bekanntlich wagemutig und setzt am Donnerstag Abend statt der gewohnten Action-Krimi-Kost künftig auf Romantic Comedy für junge Frauen. Größer könnte der Bruch kaum sein. Dass das Vorhaben dennoch eine Chance hat und mit herausragender Qualität daherkommt, verdankt RTL der Ausnahmeproduzentin Steffi Ackermann. "Doc meets Dorf", vom Sender als Romantic-Drama-Serie verkauft, ist bis ins kleinste liebevolle Detail ihr Baby.

Die 38-jährige Produzentin der UFA Fiction (ehemals teamWorx) hat RTL schon einmal den Allerwertesten gerettet, als es um die deutsche Serie schlecht bestellt war. "Doctor's Diary" kam 2008 wie eine Offenbarung für eine junge Kernzielgruppe, die sich von lokalen Eigenproduktionen schon weitgehend abgewandt hatte. Fünf Jahre später steht der Kölner Sender in der Fiction wieder nackt da und hat außer "Alarm für Cobra 11" keine funktionierende Serie. Während Ackermann noch an der Abmischung der letzten "Doc meets Dorf"-Folgen sitzt, macht sie sich vom hohen Erwartungsdruck frei. "In erster Linie versuche ich, eine Serie zu machen, die ich selbst gern schauen würde", sagt sie im Gespräch mit DWDL.de. "Meine eigenen Wünsche und Sehnsüchte spielen dabei eine große Rolle. Das war bei 'Doctor's Diary' so und das ist bei 'Doc meets Dorf' nicht anders."



Vermutlich gilt - leicht abgewandelt - der berüchtigte Amazon-Algorithmus: Kunden, die "Doctor's Diary" kauften, werden auch "Doc meets Dorf" kaufen. Und doch wäre es voreilig, die beiden Serien über einen Kamm zu scheren. Mit der Krankenhaus-Dramedy rund um Gretchen Haase zwischen zwei Männern hat Ackermann - damals noch bei der Studio-Hamburg-Tochter Polyphon und im Team mit Autor Bora Dagtekin - eine bis dato nicht gekannte Farbe etabliert. Mit "Doc meets Dorf" - der Geschichte der Herzchirurgin Fritzi Frühling, die wider Willen als Landärztin im brandenburgischen Kuhkaff strandet - zieht sie die Schrauben nun bis zu einem völlig neuen Level an.

Noch nie ist in einer deutschen Serienstunde so oft "verfickt" oder "fucking Scheiße" gesagt worden. Noch nie hat eine deutsche Serie mit so knalliger, übertriebener Farbgebung gearbeitet. Noch nie sind so wenige Sekunden zwischen dem derbsten Slapstick-Moment (z.B. künstliche Kuh-Besamung) und der traurigsten Drama-Wendung (z.B. verheerende Krebsdiagnose) vergangen. Die von Inez Bjørg David hinreißend gespielte Fritzi ist eine ungewöhnliche Serien-Hauptfigur, weil man nie weiß, ob man sie für ihre ehrliche Leidenschaftlichkeit lieben oder für ihre neurotische Überdrehtheit hassen soll.

Ohne Frage: Es ist toll, dass so etwas im Jahr 2013 in einer deutschen TV-Serie plötzlich alles möglich ist. Genauso klar ist aber auch, dass sich große Teile des älteren Publikums verschreckt fühlen dürften. Dem Vernehmen nach hat die von RTL in Auftrag gegebene Marktforschung ergeben, dass die Altersgrenze in etwa bei 30 liegt und viele darüber die Machart von "Doc meets Dorf" ablehnen. Mutig für einen Sender, der tendenziell immer älter wird und seine Zielgruppe daher auf 14-59 erhöht hat. "Natürlich wird diese Serie polarisieren. Alles andere wäre ja auch langweilig", sagt Steffi Ackermann. "Wir haben die extreme Orientierung am Geschmack junger Frauen nicht abgemildert, sondern sogar noch intensiviert." Von der RTL-Fiction-Abteilung habe sie dabei viel freie Hand bekommen.

Die Sonderstellung der studierten Architektin und Bühnenbildnerin, die sich erst nach ein paar Aushilfsjobs beim Film für ein Studium an der Ludwigsburger Filmakademie entschied, wird auch anderweitig deutlich. Alle Drehbücher stammen von der Nachwuchsautorin Miriam Rechel, die an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen studiert und für das Projekt mehrere Urlaubssemester nehmen musste. Ackermann hatte sie bei einem Workshop kennen gelernt. Den Versuch, mit mehreren Autoren an der Serie zu schreiben, gab sie schnell wieder auf, weil der Ton zu unterschiedlich wurde.

Auch bei Teilen der Zielgruppe selbst reichte die Ankündigung einer neuen Steffi-Ackermann-Serie aus, um gehörigen Social-Media-Buzz zu erzeugen. Seit dem Ende von "Doctor's Diary" 2011 fordert die eingeschworene Fangemeinde vehement eine vierte Staffel. Angesichts von Trailer und Inhaltsangabe zu "Doc meets Dorf" entstand im Netz eine Diskussion darüber, ob es sich um eine Kopie der US-Serie "Hart of Dixie" von den "Gossip Girl"- und "The O.C."-Machern Stephanie Savage und Josh Schwartz handele. In Deutschland läuft diese bei sixx und ist bei jungen Frau sehr beliebt.

Ackermann sagt, sie habe "Hart of Dixie" erst gesehen, als "Doc meets Dorf" schon im Dreh war. Tatsächlich ist die Grundkonstellation - junge, ambitionierte Großstadt-Ärztin crasht in der Provinz - recht ähnlich, Stimmung und Erzählweise sind jedoch völlig anders. Aufgrund des hohen Stellenwerts von Social Media für die angepeilte Zielgruppe liegt der Produzentin die gemeinsam mit RTL interactive umgesetzte Facebook-Kampagne am Herzen. Parallel zur Serie sollen dort exklusive Inhalte der Charaktere und ihrer Darsteller auftauchen.

Druck hin oder her - zum Ende des Gesprächs müssen wir auf das Image der Serien-Retterin zurückkommen. Schließlich darbt derzeit alles, was nicht Krimi ist, weit über RTL hinaus. Schließlich vertraut der Marktführer nicht jedem einen solchen Neustart an. Und schließlich hat Ackermanns Chef Nico Hofmann ihr bei der Anwerbung vor zwei Jahren attestiert, "die deutsche Serie wiederbelebt und neue Maßstäbe gesetzt" zu haben. Wird ihr das jetzt ein zweites Mal gelingen?

"Ich sehe es nicht als meine Aufgabe, irgendwas zu retten. Weder die deutsche Serie noch ein spezielles Genre", antwortet sie nach kurzem Überlegen. "Darauf habe ich ja gar keinen Einfluss. Ich kann nur dafür sorgen, dass meine Serie so gut wie möglich wird, und dafür tue ich alles." Sobald "Doc meets Dorf" fertig ist, kümmert Ackermann sich gleich um die nächste Serie.

Für den neuen Disney Channel produziert sie 13 Folgen der Kinder- und Jugendserie "Binny und der Geist". Darin teilt die 13-jährige Binny (Merle Juschka) ihr Zimmer in einer Berliner Villa unfreiwillig mit dem Geist des 14-jährigen Melchior (Johannes Hallervorden). Um den Jungen vom Geisterdasein zu befreien, müssen die beiden als Ermittlerduo kleine Verbrechen aufklären. Das Besondere: Von vornherein ist die Serie auch für die anderen europäischen Disney Channels geplant. Die nächste Herausforderung für Steffi Ackermann heißt also jede Menge internationale Abstimmung.