Herr Rasmus, Sat.1 ist vor wenigen Wochen 40 geworden. Warum war das kein Grund zum Feiern?

Wir sind der älteste deutsche Privatsender Deutschlands – und darüber freuen wir uns. Der Sat.1-Ball hat einen festen Platz in den Herzen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Gleichwohl wir sind gut beraten, uns jetzt mit einer gewissen Ehrfurcht an die Arbeit zu machen. Unsere Priorität liegt ganz klar darauf, Sat.1 schnellstmöglich dort zu positionieren, wo der Sender hingehört. Es gibt viele Herausforderungen, die wir anpacken müssen und werden. Daher schauen wir in die Zukunft – ganz nach unserem Claim „Es gibt noch viel zu sehen“.

Der „Bergdoktor“ ist schon lange im ZDF, Kai Pflaume quizzt erfolgreich in der ARD, „Glücksrad“ und „Genial daneben“ laufen inzwischen bei RTLzwei und Barbara Salesch fällt ihre Urteile bei RTL. Was haben andere Sender gesehen, was Sat.1 in den eigenen Marken und Gesichtern in den vergangenen Jahren nicht gesehen hat?

Die Entscheidungen wurden weit vor meiner Zeit und unter anderen Umständen getroffen, insofern kann ich dazu wenig sagen. Aber natürlich tut es weh, einige Marken davon nicht mehr zu haben. Sie unterstreichen für mich aber eher die Tatsache, welche medienkulturelle Aufgabe Sat.1 immer schon hat. Der Sender hat der Fernsehbranche ganz viel DNA geliefert. Darauf können wir stolz sein, auch wenn „Der Bergdoktor“ inzwischen erfolgreich beim ZDF läuft. 

Sie haben Sat.1 erst vor wenigen Monaten übernommen. Lässt sich dennoch schon in dieser kurzen Zeit an vereinzelten Stellen Ihre Handschrift erkennen?

Mir sind Klarheit und eine vorurteilsfreie und respektvolle Sicht auf die Menschen, für die wir Fernsehen machen, ganz wichtig. Wir haben uns sortiert und eine klare Ordnung eingezogen und können schon heute sehr konkret sagen, was an welchem Abend im Jahr laufen wird. Aber es geht mir auch um die Zuschaueransprache, etwa mit Blick auf die Sendungstitel. Ich war immer schon ein Freund davon, dem Publikum den Zugang zu den Produkten, die wir ihnen ins Regal stellen, zu erleichtern. „The Biggest Loser“ heißt beispielsweise wieder „The Biggest Loser“, weil diese Marke in den Köpfen verankert ist. 

 

Sat.1 ist ein breiter Sender; ein Sender für uns alle – für die ganze Familie.

 

Als Zielgruppe hat Sat.1 zuletzt vorwiegend Frauen über 40 angesprochen. Bleibt's dabei? 

Es bleibt im Kern bei dieser weiblichen und tendenziell etwas älteren Ausrichtung. Aus der Historie, aber auch aus einer festen Überzeugung heraus positionieren wir den Sender daher bei den Frauen ab 40. In dieser Klarheit wollen wir aber nicht spitz werden und erst recht niemanden ausklammern. Sat.1 ist ein breiter Sender; ein Sender für uns alle – für die ganze Familie.

Das größte Sat.1-Projekt des vergangenen Jahres war unter Ihrem Vorgänger „Volles Haus“. Die Sendung ist längst Geschichte und die Probleme am Nachmittag sind nach wie vor groß. Wie wollen Sie diese in den Griff bekommen?

Die Strecke in der Daytime und am Vorabend ist fünf Stunden lang. Das ist eine, ich würde fast sagen, historische Herausforderung, der wir mit höchster Priorität begegnen, weil diese Zeitschiene das Rückgrat jedes Senders ist. Noch ist es zu früh, um über Details zu sprechen, aber wir arbeiten an diversen Ideen und werden in absehbarer Zeit nach und nach neue Formate einbauen. Das wollen wir aber nicht im Hauruckverfahren, sondern mit der gebotenen Präzision machen. 

Auf welche Genres wollen Sie setzen?

Aktuell setzen wir noch sehr stark auf Dokutainment. Das ist ein spannendes Genre, das es aber im Vergleich zu anderen Programmfarben anderer Sender, die entweder gescriptet oder lange etabliert sind, schwer hat – schon allein aufgrund der Tatsache, dass wir einfach das echte Leben abbilden. Das ist leiser und bisweilen lieblicher. Künftig wollen wir neben Dokutainment verstärkt auf Scripted setzen, aber auch auf Show. Ein erster Anker in dieser fünfstündigen Strecke ist glücklicherweise die „Landarztpraxis“, die uns perspektivisch Sicherheit und Planbarkeit gibt und unseren Zuschauern das, was sie von uns erwarten. Im Schulterschluss mit Joyn ist uns hier ein toller Erfolg gelungen. „Die Landarztpraxis“ muss man niemandem erklären. Davon benötigen wir mehr. Und davon kommt noch mehr. Sat.1 braucht eine neue Selbstverständlichkeit. 

Also auch mehr Serien am Vorabend? 

Wir werden den 19-Uhr-Sendeplatz in diesem Jahr durchweg mit deutscher Fiction bespielen. Trotz EM, trotz Olympia. Das ist ein klares Versprechen. Die Dreharbeiten für die 2. Staffel „Die Landarztpraxis“ laufen bereits. Nach den vielen positiven Rückmeldungen und tollen Abrufzahlen auf Joyn, gibt es sicher viele Zuschauerinnen und Zuschauer, die sich mit uns freuen, dass wir damit schon im Frühsommer starten können. Und es kommt noch eine dritte Serie: „Die Spreewaldklinik“, produziert von der ndF und gefördert vom Medienboard Berlin-Brandenburg. Es geht um eine Ärztin, die als Teenager ihr Kind zur Adoption freigegeben hat und nun versucht, mit ihrer Vergangenheit aufzuräumen. Die Serie hat eine etwas andere Ausrichtung als die „Landarztpraxis“, weil die Themen Klinik und Medizin präsenter sind, aber ebenfalls eine starke weibliche Identifikationsfigur, viel Herz und als Setting die wunderschöne Landschaft im Spreewald. 

 

Wir sind sehr offen für neue Serien, vielleicht auch für einen anderen Sendeplatz als um 19 Uhr. 

 

„Das Küstenrevier“, auf das Sie neuerdings setzen, schlägt bislang noch nicht so recht ein. 

„Das Küstenrevier“ läuft noch nicht so lang, aber wir sehen eine etwas andere Entwicklung als bei der „Landarztpraxis“, bei der wir einhundertprozentig davon überzeugt sind, die angesprochene neue Selbstverständlichkeit für Sat.1 voll getroffen zu haben. Mit einer starken weiblichen Protagonistin und Identifikationsfigur. Mit den richtigen Besetzungen und dem Dreiecksgeflecht drumherum. Das „Küstenrevier“ ist mehr Krimi und damit eine etwas andere Farbe, was jedoch eine bewusste Entscheidung im Vorfeld war, um möglichst viel auszuprobieren.

Sind Sie über die „Landarztpraxis“ und die „Spreewaldklinik“ hinaus offen für weitere Vorabendserien?

Wir sind sehr offen für neue Serien, vielleicht auch für einen anderen Sendeplatz als um 19 Uhr. Momentan befinden wir uns in einer echten Aufbruchstimmung, wollen wachsen und geben deutlich mehr Geld für lokale Produktionen aus – mit deutlichem Fokus auf die Primetime. Das ist aus meiner Sicht für jeden Produzenten in Deutschland eine gute Nachricht.

Geht es in Ihren Überlegungen auch um deutsche Fiction für die Primetime?

An diesem Punkt sind wir im Moment noch nicht, aber wir schließen grundsätzlich nichts aus.

Worin bestehen die Herausforderungen für Sat.1 in der Primetime?

Im Grunde sind die Herausforderungen für den Hauptabend ähnlich gelagert wie in der Daytime und am Vorabend. Sat.1 braucht auch hier mehr Selbstverständlichkeit – und ein klares Programmversprechen für die breite Zielgruppe. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sollen, wenn sie Sat.1 einschalten, Verlässlichkeit erwarten können. Diese Erwartungen wollen wir im besten Fall übertreffen. Dabei helfen uns klare Programmfarben wie der Factual-Entertainment-Abend am Montag, wo aktuell schon „The Biggest Loser“ und „Hochzeit auf den ersten Blick“ laufen. Hier möchten wir sehr viel Neues ausprobieren. Das kann mal Factual- oder Reality-lastiger sein, aber es geht immer um echte Menschen, echtes Leben. Vorurteilsfrei, respektvoll, nahbar.

Was planen Sie konkret?

Anlässlich des bevorstehenden 75. Geburtstags der Bundesrepublik zeigen wir im März ein neues Programm von i&u, das „Unsere Lieblinge“ heißen wird. Es geht um große Persönlichkeiten, die unser Land in dieser Zeit hervorgebracht hat; um unsere liebsten und größten Comedians, unsere liebsten und größten Musik- und Film-Stars. Für die Moderation dieser ultimativen Rankingshow haben wir unseren Wunsch-Moderator gewinnen können, der für diese Programmfarbe steht wie kein anderer, nämlich Oliver Geissen. Ich freue mich sehr darüber, dass er zugesagt hat, diese drei Folgen für uns zu moderieren.

Bereits bei Kabel Eins haben Sie sehr viel Factual Entertainment ins Programm genommen. Gibt es ein Format, das Sie gerne zu Sat.1 mitgenommen hätten?

Die Kabel-Eins-Formate sind alle perfekt auf die Zielgruppe von Kabel Eins entwickelt. Gleichwohl gibt es ein Format, das wir schon zu meiner Zeit bei Kabel Eins perspektivisch in Sat.1 gesehen haben: „Über Geld spricht man doch“. Die Sendung ist sehr breit angelegt und spricht eine sehr breite Zielgruppe an. Denn hier wird Menschen aus allen Schichten aufs Konto geschaut. Und wer hat sich nicht schon mal insgeheim gefragt, was die Kassiererin von nebenan oder der Heizungsinstallateur von gegenüber verdient? Im Frühjahr werden wir „Über Geld spricht man doch“ deshalb am Montagabend in Sat.1 zeigen. Das ist kein Mitnehmen, sondern folgt unserer Überzeugung, dass das Format einen nächsten Schritt machen kann. 

Lassen Sie uns über die weiteren Abende der Woche sprechen.

Ganz klar: Dienstags wird es in Sat.1 US-Serien und nur US-Serien geben. Am Mittwoch wiederum haben wir die schöne Situation, mehrere starke Marken im Programm zu haben, die essenziell und prägend für Sat.1 sind, nämlich „The Taste“ sowie „Das große Backen“ und das „Promi-Backen“. Wer Mittwochabend Sat.1 einschaltet, soll sich sicher sein können, Kochen, Backen und Essen in anregendem, unterhaltsamen, ästhetischem Surrounding serviert zu bekommen - mit Menschen, die spannende Unterhaltung garantieren. 

Und da gibt es genügend Sendungen fürs ganze Jahr? 

In diesem Jahr werden wir die Food-Strecke noch nicht ganz durchhalten können und zeigen im Sommer die deutsche Adaption von „Stranded on Honeymoon Island“, mit viel Liebe und tollem Urlaubsflair.  In Sat.1 läuft es unter dem Namen „Gestrandet in den Flitterwochen“. Für mich ein perfekter Sat.1-Titel.

Um den Donnerstag müssen Sie sich nach den Quiz-Erfolgen der letzten Wochen eher nicht mehr kümmern, oder?

„Das 1% Quiz“ mit Jörg Pilawa gehört zu den absoluten Top-Formaten, die diese entwaffnende Selbstverständlichkeit haben, wie ich sie mir für Sat.1 wünsche. Es war uns allen wichtig, dem Donnerstag mit Light Entertainment endlich eine klare Farbe zu geben und das Publikum auf diese Weise aufs Wochenende einzustimmen. Daran wollen wir anknüpfen, indem wir im Februar „The Floor“ mit Matthias Opdenhövel starten und im Frühjahr „Das große Allgemeinwissensquiz“ zurückholen, diesmal mit Jörg Pilawa als Moderator. Auch das ist eine Farbe, die man niemandem erklären muss; vor dem Hintergrund von PISA dazu immer noch brandaktuell. Und wir holen eine besondere Marke zurück auf den Bildschirm: „Hast du Töne?“.

Hast du Töne?! © Seven.One/Action Press/Nadine Rupp Original-Titel, Original-Moderator, Original-Band: Marc Rasmus setzt auf "Hast du Töne?!" mit Matthias Opdenhövel.

Das lief vor gar nicht allzu langer Zeit unter dem Titel „Let the music play“ schon einmal mit überschaubaren Quoten im Vorabendprogramm von Sat.1. Warum ist die Sendung plötzlich sogar Primetime-tauglich?

Der Titel „Let the music play“ erinnert an einen Hit von Shannon aus dem Jahr 1983, aber er hat das Publikum weder aktiviert noch emotionalisiert. Das Format atmete noch nicht so, wie es atmen muss. Ich glaube jedoch an die Idee: gute Laune, Lieblingslieder und Quiz. Diese Mischung zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen. Aber wir brauchen dafür den Originaltitel, den Original-Moderator und die Original-Band. Ab Frühjahr machen wir daher „Hast du Töne?“ mit Matthias Opdenhövel und der Band Tönlein Brillant, die schon vor über 20 Jahren dabei war. Darüber hinaus haben wir weiter daran geschraubt: Wir integrieren das Publikum mehr und inszenieren die Musik noch lebendiger und emotionaler.

Wie sieht‘s mit dem Freitagabend aus?

Der Freitag ist etabliert mit Big Family Entertainment und den großen Säulen „The Voice of Germany“ und „The Voice Kids“. Mit „Stars in der Manege“ und der Partynacht mit Andrea Kiewel haben wir außerdem weitere Shows, von denen wir in diesem Umfeld überzeugt sind. Hier werden wir auch den Neustart „The Tribute - Die Show der Musiklegenden“ zeigen, einen Wettbewerb der besten Coverbands Deutschlands mit Yvonne Catterfeld, Conchita Wurst und Bertram Engel in der Jury und Matthias Opdenhövel als Moderator. All das verspricht großes Entertainment auf dem großen Bildschirm mit einem ganz klaren Unterhaltungs-, Spannungs- und Erlebnisversprechen.

 

Ich möchte gerne mehr Comedy zeigen, aber nicht um jeden Preis.

 

Das Wochenende lief in Sat.1 dagegen bisweilen ziemlich unterm Radar. Selbst der zuschauerstarke Sendeplatz am Sonntagvorabend, auf dem Ihr Sender in der Vergangenheit lange sehr erfolgreich war, wurde vernachlässigt.

Der Sonntagvorabend ist für uns derzeit kein strategisch wichtiger Slot. Wenn wir aber ein Format finden, das wir dort gut aufgehoben sehen, werden wir es auch dort zeigen. Ansonsten ist der Samstagabend mit dem „Familienkino“ gut positioniert, weil wir zu 100 Prozent das liefern, was die Menschen von uns erwarten. Auch das „Sonntagskino“ finde ich in der Primetime genau richtig. 

Spielt denn Comedy in Ihren Überlegungen eine Rolle?

Comedy ist eine Farbe, die unzertrennlich mit Sat.1 verbunden ist. Allerdings müssen wir da sehr genau hinschauen. Es gibt Comedy, die sehr breit und volkstümlich ist, aber auch Comedy, die sehr jung und spitz ist. Ich möchte gerne mehr Comedy zeigen, aber nicht um jeden Preis. Die Konzepte müssen zur Zielgruppe passen und sollen nicht aus einer strategischen Genre-Überlegung her passend gemacht werden. Schon jetzt haben wir ein wunderbares Programm on air, „Die besten Comedians Deutschlands“. Das ist selbsterklärend, unterhaltsam und geht natürlich weiter. 

Lassen Sie uns abschließend noch auf eine langjährige Sat.1-Marke zu sprechen kommen, die „Akte“. Die Sendung ist inzwischen verschwunden. Bleibt's dabei?

Die „Akte“ steht nach wie vor für viel und ist eine verheißungsvolle Marke, die aber den Erwartungen, die man zu Recht an sie hatte, im Gefäß eines wöchentlichen Magazins nicht mehr nachkommen konnte. Die Entscheidung, die „Akte“ rauszunehmen, ist getroffen. Gleichzeitig kann ich mir vorstellen, dass die Marke in Zukunft weiter eine Rolle spielt. Auch darüber denken wir nach.

Eine persönliche Frage zum Schluss: Sie waren fast sieben Jahre Chef von Kabel Eins. Wie viel Sat.1 steckt nach wenigen Monaten eigentlich schon in Ihnen?

Sat.1 hat eine bewegte Geschichte hinter sich, aber wenn man eine ganz unverstellte Perspektive einnimmt, finde ich es erstaunlich leicht zu spüren, was Sat.1 ausmacht. Das motiviert mich extrem. Das Feuer ist daher schon in den ersten Tagen entzündet worden, und als ich kürzlich für ein Fotoshooting den Sat.1-Ball erstmals physisch in den Händen hielt, war das schon ein besonderes, ein sehr schönes Gefühl. 

Herr Rasmus, vielen Dank für das Gespräch.