Kurz vor Weihnachten kündigte ProSiebenSat.1 eine Abschreibung auf Hollywood-Content und damit verbunden mehr Investitionen in lokale Inhalte an: Warum?

Wir haben unsere Programm-Investitionen analysiert und neu sortiert. Das bedeutet, dass wir mittelfristig sowohl in Sat.1 als auch auf ProSieben an einem weiteren Abend auf Lizenzware verzichten. Wir werden in Zukunft auf beiden Sendern einen zusätzlichen Abend auf lokale Programme setzen - allerdings aufgrund von Vertragslaufzeiten und Produktionsvorläufen nicht von heute auf morgen. 

Haben Sie Hollywood abgeschrieben? 

Wir sind und bleiben in Deutschland weiterhin gerne der größte Abnehmer von Hollywood-Programmen. Die Woche hat schließlich sieben Abende - und wir ein breites Senderportfolio. Und auch auf Joyn funktionieren US-Lizenz-Serien sehr gut. Joyn hat so viele gute Serien, was noch gar nicht entsprechend wahrgenommen wird. Wir bringen dieses Jahr zwischen 15 und 20 neue US-Serien in den AVoD-Bereich von Joyn (advertising-based video on demand, Anm. d. Red.). Also: Wir justieren unsere Programmstrategie. Hollywood gehört weiter dazu.

Wie sieht diese Programmstrategie der Seven.One Entertainment Group aus?

Im Fokus unserer Investitionen steht Joyn. Joyn ist und bleibt Zentrum unserer Entertainment-Strategie. Die Erfolge der letzten Monate zeigen, wie erfolgreich das sein kann, wenn wir unsere Sender und Joyn effektiv miteinander vernetzen. Als ein Beispiel würde ich die neue Sat.1-Vorabendserie „Die Landarztpraxis“ nennen: Die Serie hat linear gut funktioniert und auf Joyn herausragend. Mit der Konsequenz, dass wir über „Die Landarztpraxis“ und „Das Küstenrevier“ hinaus mehr dieser Fiction machen wollen. Das werden wir also ausbauen. „Promi Big Brother“ war in Kombination mit dem 24/7-Livestream auf Joyn so erfolgreich, dass wir uns entschieden haben, das Original „Big Brother“ auf Joyn zu machen. Auch auf ProSieben wird es in diesem Jahr neben mehr Comedy ebenfalls mehr Reality geben. 

 

"ProSieben kann aber auf jeden Fall mehr Reality gebrauchen"

 

Mehr Reality bei ProSieben - eine kleine Korrektur, nachdem Reality in vergangenen Jahren eher beim eigentlich älteren Sat.1 probiert wurde?

„Promi Big Brother“ gehört zu Sat.1 und auch etwas wie „Hochzeit auf den ersten Blick“, was für mich auch ein Reality-Programm ist. ProSieben kann aber auf jeden Fall mehr Reality gebrauchen. Wir haben uns mit „Destination X“ eine international gefragte Adventure-Reality gesichert und werden damit am Donnerstagabend unsere Vielfalt in der Reality beweisen: „Germany’s Next Topmodel - by Heidi Klum", „Beauty & The Nerd“ und „Destination X“. Und dann gibt es auch das „Promi-Büßen“, was für uns im Zusammenspiel mit Joyn gut funktioniert.

Wie viel eigenen Content braucht Joyn, um eigenständig und nicht vorrangig nur als CatchUp wahrgenommen zu werden?

Joyn ist und bleibt der BVoD-Service (Broadcast Video on Demand, Anm. d. Red.) von Sat.1, ProSieben und all unseren linearen Sendern, aber ist damit längst viel mehr als ein Catch-Up-Service. Wir veröffentlichen Formate, wenn möglich, zuerst auf Joyn. Zudem priorisieren wir bei jeder neuen Formatentwicklung die Relevanz für Joyn, wodurch jeder investierte Euro in unsere TV-Grids auch ein Investment in Joyn ist. Und wir werden uns sukzessive noch breiter aufstellen. Joyn ist bereits ein Aggregator für fast alle relevanten TV-Sender in Deutschland und einer Vielzahl an Mediatheken. Auf dieser Basis sind wir in weitergehenden Diskussionen mit den Öffentlich-Rechtlichen, deren Mediatheken sich unserer Meinung nach sehr gut integrieren ließen. Auch mit US-Partnern sind wir in guten Gesprächen: Über die Serien haben wir ja schon gesprochen.

Wie sieht es mit Auftragsproduktionen explizit für Joyn aus?

Für 2024 haben wir das Budget für Joyn Originals erhöht, um das Angebot unserer Sender zu ergänzen: Mit TV-Extensions ziehen wir insbesondere lineare Zuschauer von etablierten Formatmarken auf Joyn. Mit Reality Originals und Scripted Originals schärfen wir das Genre-Profil. Hier freue ich mich insbesondere, dass wir in der Tradition von „Jerks“ und „Intimate“  für dieses Jahr zwei neue vielversprechende Projekte in Vorbereitung haben. Auch machen wir weiter mit Creator-Events, mit denen wir erfolgreich ein jüngeres Publikum für Joyn gewonnen haben. Daran wollen wir mit neuen Face-driven Live-Shows anknüpfen.

So viel Joyn - welche Rolle spielen denn die Sender?

2024 steht voll im Zeichen von Joyn und dem Ausbau des lokalen Programms bei unseren großen Sendern. Dafür erhöhen wir ja unsere Investitionen signifikant – um ungefähr 80 Millionen Euro. Das sehen wir als gute Nachricht für unsere Zuschauer – aber auch für den deutschen Produzentenmarkt. 

Sie sprachen jetzt gezielt von BVoD und AVoD: Spielt der Bezahlbereich von Joyn noch eine Rolle?

SVoD bleibt Bestandteil von Joyn. Es gibt Fans, die wollen neue Programme zuerst sehen oder sich auf exklusiv eingekaufte Serien freuen und das ganze werbefrei. Werden wir große Investments in aufwendige Auftragsproduktionen ausschließlich für den SVoD-Bereich tätigen? Nein, wir glauben daran, dass Investitionen in Inhalte sich am besten refinanzieren lassen, wenn wir sie über sowohl SVoD, AVoD und Free-TV verwerten. 

Serien waren für Ihr Haus, besonders ProSieben, früher elementar. Welche Rolle spielen sie heute?

Etablierte Serien, also bekannte Marken, die man oft noch aus der linearen TV-Welt kennt, stehen im Streaming hoch im Kurs. Das sagen uns die wenigen Einblicke in die Nutzung diverser Dienste immer wieder. Diese Produktionen bringen das mit, was neue Streaming-Serien nur selten schaffen: Die hohe Folgenanzahl, bei der Bingewatching erst so richtig Spaß macht. Und wo wir gerade über Serien reden: Wir sind sehr glücklich über den Start von „House of The Dragon“: Eine komplexe, horizontal erzählte Serie mit nicht gerade leicht verdaubarer Kost überzeugt zur besten Sendezeit auf ProSieben – und darüber hinaus auf Joyn. Und warum? „Game of Thrones“ bringt eine große Community mit. Wir begrüßen daher sehr, dass einige Hollywoodstudios inzwischen wieder sehr stark auf Distribution setzen und ihre Produktionen wieder zum Verkauf anbieten. 

 

"Wir verschließen uns nicht einem zweiten Verwertungsfenster von Streaming-Serien"

 

Nicht nur die Studios, auch internationale Streamingdienste gehen in die Zweitverwertung ihrer Produktionen. Öffnet sich da eine neue Gelegenheit für Programmnachschub?

Wir sehen da inzwischen sogar eine sehr große Öffnung. Eine logische Entwicklung, weil auch bei den internationalen Streamingdiensten inzwischen stärker aufs Geld geschaut wird. Und warum sollte man großartige Produktionen nicht einem noch größeren Publikum zugänglich machen? Wir verschließen uns nicht einem zweiten Verwertungsfenster von Streaming-Serien. Das wird kommen. Es gilt, den Spagat zu schaffen zwischen der oft horizontalen Erzählung und dem Nutzungsverhalten im linearen Fernsehen. Eine große Marke wie „Game of Thrones“ schafft das. Wenn es passt, werden wir einkaufen. Wenn es passt, kann man perspektivisch auch gemeinsam produzieren.

Guter Punkt. Wie sieht es mit Auftragsproduktionen im Fiktionalen aus? 

In der Kombination aus wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der Effektivität in der OnDemand-Nutzung sind Dailys das beste Mittel, was wir strategisch zur Zeit haben. Sie helfen auch, einen Sendeplatz im linearen zu etablieren. Ich werde jetzt nicht ausschließen, dass wir nach einer genauen Prüfung auch punktuell in andere fiktionale Formate investieren. Mit dem enormen Budget der Öffentlich-Rechtlichen auf der einen Seite und einem immer noch erstaunlich hohen Budget für deutsche Auftragsproduktionen bei US-Streamern auf der anderen Seite muss man sehr genau wissen, wie man die Lücke findet, um klug zu investieren. Und wie programmiert man überhaupt heutzutage effektiv? Ist der wöchentliche Rhythmus für fiktionale Produktionen noch zeitgemäß? Oder muss man eine Serie zum Beispiel als Event von Montag bis Sonntag am Stück programmieren? 

Fast wie die „24“-Ausstrahlung damals bei RTLzwei… 

Ja, wenn es für sowas die perfekte Idee gibt, dann wäre das vielleicht ein Experiment, das man ausprobieren sollte. Aber es hat keine Priorität.

Wie steht es denn um das Engagement von ProSiebenSat.1 im Kino-Bereich aus? 

Wir werden mit unserer Tochter Seven Pictures weiter im Kinomarkt aktiv sein. Aber sind wir ein bisschen selektiver geworden, was die Stoffe angeht? Ja. Die Stückzahl, die es bei uns mal gab, stellt der Markt heute ja auch gar nicht mehr her. Wir waren mit unseren Beteiligungen im vergangenen Jahr aber Nr. 1 und Nr. 6 unter den deutschen Filmen. Kino, breit und groß, funktioniert auch für uns. Aber das kontinuierlich zu finden, ist nicht mehr so einfach. Und wir brauchen mehr Flexibilität und Tempo in der Verwertungskette, die idealerweise so aussieht: Kino - und dann wir. So haben wir den Spielraum, weiter zu verwerten.

Dann lassen Sie uns über die Sender reden: Wer braucht dieses Jahr mehr Aufmerksamkeit, ProSieben oder Sat.1?

In Sat.1 wurden in den vergangenen Jahren viele Dinge auf den richtigen Weg gebracht. Und an den Stellen, wo das nicht so war, arbeitet Marc Rasmus an Lösungen. Grundsätzlich gilt: Letztes Jahr sind wir in der für uns elementar wichtigen Primetime in Sat.1 gewachsen; das richtige Signal. Jetzt wollen wir mehr Stabilität und Klarheit in allen Slots. Bei ProSieben haben wir das Glück, eine Vielzahl erfolgreicher Marken zu haben. Aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Wir brauchen dort die nächste - im besten Falle - langlaufende große Marke. 

Eine strategische Frage zu ProSieben, auch vor dem Hintergrund der Reduktion von Hollywood-Deals…

Jetzt bitte nicht die Frage zur Lifetime of the Sitcoms (lacht) ..

Doch...

Also gut, die Frage ist ja berechtigt. Sind Sitcoms in der ProSieben-Daytime die unendliche Geschichte? Nein. Aber ich kann Ihnen jetzt nur die gleiche Antwort geben, die Sie schon in den letzten Jahren gehört haben: We are prepared. 

Die Vergabe der Bundesliga-Rechte steht an: Welche Rolle spielt Sport für die Seven.One Entertainment Group?

Also: Wir freuen uns, dass wir die Fußball-Bundesliga erstmal noch eine weitere Saison mit Live-Spielen in Sat1 haben. Zu der jetzt anstehenden Ausschreibung kann ich mich an dieser Stelle nicht äußern. Im Mai kommt aber schon die Eishockey-WM, die in den kommenden fünf Jahren bei uns zu sehen sein wird. Alle Spiele der deutschen Mannschaft werden wir auf ProSieben zeigen. Wir haben einen langlaufenden Vertrag mit der European League of Football, da wachsen wir stetig. Dazu Motorsport und natürlich die glanzvolle NBA. Wie wir Sport groß machen können in Deutschland, haben wir über Jahre mit der NFL bewiesen. 

 

"Wir glauben an eine kleine leichte Erholung des Werbemarkts in 2024"

 

Irgendwann im Laufe des Jahres wollen Sie den neuen Campus inklusive neuem Nachrichtenstudio beziehen. Wie steht es um die vor einigen Jahren ausgerufene Informationsoffensive, wenn vor Einzug schon ein Leuchtturm wie „ZOL“ beendet werden musste?

Wir saßen vor vier Jahren zusammen, um die Produktion unserer News zurück ins Haus zu holen und haben dafür einen langfristigen Plan entwickelt. Das ist geglückt. Und das hatte und hat nichts mit einer Magazinsendung wie #ZOL zu tun. Mit „Newstime“ haben wir eine Marke über alle Sender und Plattformen geschaffen, die dieses Jahr dann auf dem neuen Campus ihre neue Studio-Heimat beziehen kann. Die eigene Produktion der News ermöglichte uns im vergangenen Herbst die Haupt-Nachrichten in Sat.1 um zehn Minuten zu verlängern. Wir haben jetzt die zwingend nötige Flexibilität für ein Medienhaus wie ProSiebenSat.1, um auf das aktuelle Geschehen angemessen reagieren zu können. Warten wir jetzt gespannt darauf, endlich aus dem neuen Studio zu senden und alle Möglichkeiten für moderne News auszuschöpfen? Ja, absolut. 

All das kostet Geld. Wie sieht es auf der Einnahmenseite aus: Wird 2024 besser als 2023?

Also, 2023 war kein schönes Jahr. Da müssen wir auch nicht drum herum reden, das war ein schwieriges Jahr für alle in der Branche. Wir haben erfreulicherweise einen relativ dynamischen Jahresendspurt gesehen und sehen zum Jahresstart eine anständige Entwicklung. Wir glauben an eine kleine leichte Erholung des Werbemarkts in 2024. Deswegen ist für uns aber umso wichtiger: Wir müssen unsere Stärke im TV optimal nutzen, um auf Joyn weiteres Nutzerwachstum zu generieren. Diese übergreifende Reichweite müssen wir dann  über Connected TV-Angebote, also Programmatic Advertisment oder Adressable TV konvergent vermarkten. Gerade das macht uns für den Werbemarkt insbesondere in einem Sportjahr sehr attraktiv.

Herr Pabst, herzlichen Dank für das Gespräch.