Frau Christ, Herr Kühn, mit Keshet Fiction im aktuellen Marktumfeld eine weitere Produktionsfirma auszugründen - ist das die ganz große Wette auf eine Erholung der Fiction oder wissen Sie was, was der Markt nicht weiß?
Axel Kühn: (lacht) Die Ausgründung als eigenständige Firma ist keine Wette auf die Zukunft sondern das Ergebnis unserer bisherigen Erfolge in der Fiction, zuletzt erst mit „Der Schatten“ für ZDFneo. Christina und ihr Team haben in den letzten Jahren hervorragende Arbeit geleistet. Jetzt ist das Kind groß genug geworden, um eigenständig als Keshet Fiction zu laufen. Aber ich teile die Einschätzung, dass wir derzeit eine Zurückhaltung spüren, die den Veränderungen im Bewegtbild-Markt geschuldet sind. Budgets werden selektiver investiert und gerade deshalb wollen wir dafür richtig aufgestellt sein.
Christina Christ: …und ein Zeichen setzen für unser Vertrauen in die Stärke fiktionaler Produktionen, bei der wir neben unseren Eigenentwicklungen auf die erfolgreichen IPs von Keshet setzen können.
Damit sind die fiktionalen Formate gemeint? „Unter Freunden stirbt man nicht“ und „How to dad“ fielen in diese Kategorie…
Christina Christ: Es hilft in risikoaversen Zeiten, wenn man den Erfolg einer Grundidee beweisen kann. Das gilt inzwischen auch bei fiktionalen Programmen. Mit den bisherigen Produktionen haben wir bewiesen, wie wir dann passend mit lokalen Autorinnen und Autoren, Gewerken und Cast für den deutschen Publikumsgeschmack adaptieren können. Das sind am Ende eigenständige kreative Werke, die mit viel Leidenschaft individuell entstehen. Da wird Adaptionen manchmal unrecht getan.
Axel Kühn: Der Markt hat sich gewandelt. Fiktionale Formate sorgen für Zugriff auf bekannte Brands und erprobte Stories mit einem verringerten Risiko. Eine der bekanntesten weltweiten Erfolgsgeschichten, die ich noch aus meinen Shine-Zeiten kenne, war sicher „The Bridge“ was dann um die Welt ging und später auch als „Der Pass“ bei uns nochmal ein riesiger Erfolg wurde. Und in der Fiction ist Keshet eine Macht. Der Katalog ist stark und wir freuen uns über die Möglichkeit, damit zu arbeiten.
Christina Christ: Ganz aktuell arbeiten wir an einem der größten Format-Hits von Keshet: „False Flag“ war in Israel ein großer Erfolg, wurde in Großbritannien kürzlich von AppleTV+ als „Suspicion“ mit Uma Thurman adaptiert. Die klare und besonders für einen politischen Thriller so andockbare Prämisse der Serie drängt sich förmlich dazu auf, das Format lokal neu zu adaptieren. Wir freuen uns besonders hierbei die Zusammenarbeit mit Stefanie Veith als Headautorin fortzuführen, die gerade erst unsere ZDFneo Serie „Der Schatten“ geschrieben hat.
Und in welchem Stadium befindet sich diese Entwicklung?
Axel Kühn: Wir dürfen nichts Näheres dazu sagen. Das sagt ja vielleicht genug.
Christina Christ: Wir haben für unsere Adaption auch den wunderbaren Dr. Gerhard Conrad an Bord, ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter des BND, der uns hilft, die Geschichte authentisch erzählen zu können. Mit solchen Experten und unseren Autorinnen und Autoren immer wieder in Genres und Welten einzutauchen, die einem sonst verborgen bleiben würden, macht für mich den großen Spaß aus, fiktional immer wieder neue Themen zu verfilmen.
Den Mehrwert einer Zusammenarbeit mit Kreativen aus anderen Märkten betonen viele internationale Häuser. Wie bereichernd die Zusammenarbeit sei. Mich würde umgekehrt mal interessieren: Wofür werden die Deutschen denn geschätzt?
Axel Kühn: (lacht) Wir sind zu jedem Termin pünktlich, geben jedes Reporting vor der Deadline ab und sind dabei so gründlich, dass es keine Nachfragen gibt. Aber jetzt mal ernsthaft, inhaltlich: Die Adaptionsqualität...
Christina Christ: …die wir nur Dank der hervorragenden kreativen Kräfte in Deutschland erreichen. Wir sind stolz uns in den letzten Jahren ein solides Netz aus hochrangigen Autorinnen und Autoren geschaffen zu haben mit denen der Austausch eine reine Freude ist und Projekte von Herzen hervorbringt. Darauf schielen auch die KollegInnen aus dem Ausland. Wir genießen aber auch anders herum den Blick über den Tellerrand, was extrem bereichernd sein kann. Trends aus anderen Ländern spüren wir daher sehr schnell und können entsprechend frühzeitig reagieren.
Woran arbeitet denn Keshet Fiction neben einer Adaption von „False Flag“? Für nur ein Projekt wird man die Firma kaum gegründet haben, nehme ich mal an…
Christina Christ: Wir arbeiten gemeinsam mit Alice Brauner und ihrer CCC Film an dem Reboot einer legendären Marke: Der Meisterverbrecher Dr. Mabuse, integraler Bestandteil der deutschen Filmhistorie, neu erzählt als zeitgenössische Highend-Serie. Wir sind sehr stolz, dafür einen so herausragenden Kreativen wie Autor Boris Kunz gewonnen zu haben. Er war zusammen mit uns sofort Feuer und Flamme für das Projekt. Was ich daran so spannend finde: Die Filme damals haben immer auch eine politische und gesellschaftliche Stimmung aufgegriffen und gespiegelt – das greifen wir in unserer Serie auf.
Axel Kühn: Als inzwischen älterer Mann kann ich mich persönlich an manche Filme erinnern, die natürlich ikonisch in Erinnerung geblieben sind. Deshalb freut es mich natürlich zuerst, dass Alice Brauner von unserer Idee einer Modernisierung der Marke Dr. Mabuse, rund hundert Jahre nach dem ersten Film, angetan war.
Ist Dr. Mabuse ein Thema, das auch international funktionieren soll?
Christina Christ: Mabuse ist eine Marke, die Fans des Genres durchaus auch international ein Begriff ist, wie wir mitbekommen haben. Allerdings betonen die Streamer ja auch immer wieder, dass es zunächst einmal wichtig ist, ein Programm für Deutschland zu machen und aus der hiesigen Filmgeschichte ist Dr. Mabuse nicht wegzudenken. Wir stehen bei dem Projekt noch am Anfang aber sind zuversichtlich, ein überzeugendes Package anbieten zu können. Aber wenn wir über die Internationalität sprechen, würde ich gleich zu unseren „Freibeutern“ kommen. Das ist ein kreativer Angang, eine bestehende IP ganz neu zu nutzen. Wir denken den „Störtebeker“-Mythos und dessen Entstehung als düstere Highend-Serie radikal neu. Das soll als internationale Koproduktion aufgesetzt werden, entsprechend bilingual realisiert. Die Bücher kommen von Robert Krause und Florian Puchert, die wir beide schon lange kennen und enorm schätzen. „Freibeuter“ wird keine verblümte Heldensaga, sondern erzählt den Aufstieg und Fall der mächtigsten deutschen Piraten und dabei die Entstehung des Störtebeker-Mythos. Neueste historische Erkenntnisse legen ja nahe, dass Störtebeker gar nicht existiert hat. Und damit spielen wir.
Kurze Nachfrage: Was meinen Sie mit „überzeugendem Package“ bei Mabuse?
Christina Christ: Es geht immer darum, Visionen zu verkaufen. Und dafür hilft es, die richtigen Kreativen in den wichtigen Gewerken zusammen mit der Geschichte anbieten zu können. Bei den Freibeutern haben wir beispielsweise gerade eine hervorragende Besetzung für die Regie an Bord geholt. Das hilft natürlich im Verkaufsprozess das Bild dessen, was entstehen soll, zu schärfen. Das hat auch etwas mit dem Risikomanagement auf Seiten der Sender und Streamer zu tun.
Axel Kühn: Das wandelt sich und die Vorleistung wird immer wichtiger. Darin sehe ich aber auch unsere produzentische Aufgabe. Das ist ja das, was unseren Job ausmacht. Deswegen begrüße ich diese Entwicklung sehr, weil es mehr Verantwortung auch mit mehr Freiheit verbindet, die Kreativen zu finden, die man für die Besten hält. Und Christina hat mit ihrem Team bewiesen, dass sie ein gutes Händchen hat.
Christina Christ: Das Lob möchte ich weitergeben an die Kollegen: Tina Hechinger als erfahrene und leidenschaftliche Produzentin, Konstantin Kühnle im Development als geschätzter Sparringspartner auch für unsere AutorInnen und Bernd Krause als Head of Production, der auch in stürmischsten Zeiten nie die Ruhe verliert, Sonia Graf die uns unterstützt. Dass wir die Keshet Fiction jetzt mit diesem eingespielten Team aufsetzen, hilft, keine Zeit zu verlieren und aufrecht zu halten wofür wir stehen: ein extrem konstruktives, offenes und hoch professionelles Team mit einem fast familiären Vibe, das in der Zusammenarbeit mit Kreativen wie Senderpartnern immer nach dem Optimum strebt.
Sie sprechen über mehrere Highend-Projekte. Ambitioniert, aber auch riskant ohne Brot & Butter-Geschäft…
Axel Kühn: Also unser CFO fänd Butter & Brot Geschäft sehr beruhigend. Aber der Markt hat jetzt nicht auf noch eine weitere Fiction-Firma gewartet, deswegen wussten wir: Wir müssen eine Duftmarke setzen und das kann man nicht, wenn man antritt um dann Butter & Brot zu liefern. Deswegen war „Unter Freunden stirbt man nicht“ mit dieser Besetzung ein schönes Ausrufezeichen und der Kritiker-Erfolg von „Der Schatten“ ebenso.
Christina Christ: Ich würde aber ein richtig gutes Butterbrot nie verschmähen! (lacht). Wir sind mit dem klaren Fokus auf Serien gestartet und der bleibt auch bei Keshet Fiction darauf, aber ganz persönlich hat uns der Einzelfilm in den vergangenen Jahren ein bisschen gefehlt und man spürt im Markt ja, dass es dort eine kleine Renaissance gibt. Deswegen verfolgen wir auch diesen Bereich bereits, weil das für Sender und Streamer oft schnellere Entscheidungen sind als die nächste Highend-Serie.
Wie viel Rückenwind erhoffen Sie sich für deutsche oder europäische Projekte durch den andauernden Doppelstreik in den USA?
Christina Christ: Wir würden uns wünschen, dass europäische Talente und Geschichten noch mehr Aufmerksamkeit bekommen in einem inzwischen ja sehr internationalen Markt, aber das ganz unabhängig von Streiks in den USA.
Axel Kühn: Da ist es natürlich ein zweischneidiges Schwert, Teil einer internationalen Gruppe zu sein, die auch selbst in den USA produziert und damit natürlich gerade auch betroffen ist von den Streiks. Das ist keine angenehme Situation für die Kolleginnen und Kollegen in den USA.
Herr Kühn, Frau Christ, herzlichen Dank für das Gespräch.