Herr Geissen, die erste "Ultimative Chart Show" lief bereits 2003 bei RTL. Was war das für eine Zeit, in der die Sendung gestartet ist?
Die "Chart Show" entstand in der Euphorie der "80er Show", die ja in ihrer besten Zeit fast 40 Prozent Marktanteil erzielt hat. Das hat mir damals großen Spaß gemacht, weil es kein Trash und kein Reality war, sondern einfach gute Unterhaltung mit ein klein wenig Bildungsauftrag. Als das abgedreht war, hatte mir der damals verantwortliche Holger Andersen das Konzept der "Ultimativen Chart Show" präsentiert, das im Sender durchaus auf Skepsis stieß, weil Musik im Fernsehen zum damaligen Zeitpunkt nicht als Quotenbringer galt. Bei "Wetten, dass..?" wurden selbst die Auftritte der größten Musikstars oft für die Pinkelpause genutzt...
Da ging die Quote immer ein bisschen runter.
Sogar bei Madonna und Robbie Williams! Dennoch haben wir die Sendung gemacht und konnten unseren Augen am nächsten Morgen kaum glauben, als die erste Quote auf dem Tisch lag. Der Marktanteil fiel ähnlich hoch aus wie zuvor bei der "80er Show". Holger Andersen brüllte mir vor Freude regelrecht ins Telefon. Auf der anderen Seite gab es ein weinendes Auge, weil wir fest in der Annahme waren, dass es diese Sendung nur einmal geben würde – immerhin hatten wir ja jetzt mit "Butterfly" von Danyel Gérard den erfolgreichsten Hit gefunden.
Ein Trugschluss, wie wir 16 Jahre später wissen.
Schon etwa eine Woche später kam die Idee auf, die Show nochmal mit den erfolgreichen Alben zu probieren. Und obwohl es erneut einige Zweifel gab, hatten wir schon wieder eine ähnliche Quote. Danach haben wir uns etwa zehn, 15 Sendungen lang von Ausgabe zu Ausgabe gehangelt – immer davon ausgehend, dass es das nun wirklich gewesen sein muss, weil uns allmählich die Themen ausgingen. Aber obwohl wir mit der Zeit bei der Auswahl der Themen immer kleinteiliger wurden, haben die Zuschauer immer wieder eingeschaltet. Das hat uns schon erstaunt.
Noch erstaunlicher ist allerdings, dass sich manche Themen inzwischen sogar wiederholt haben, oder?
Vor acht oder neun Jahren waren wir tatsächlich an einem Punkt angelangt, an dem wir mit all den Themen wieder von vorne beginnen konnten. Das fand ich allerdings nicht schlimm, weil inzwischen fast eine Dekade vergangen war, in der die Karten völlig neu gemischt wurden. So sind wir mit der Zeit auf 150 Folgen gekommen. Mich freut es sehr, dass auch in der heutigen Fernsehlandschaft noch Sendungen mit einer derart langen Haltbarkeit existieren.
Im Laufe der Jahre wurde allerdings die Dosis der "Chart Show" reduziert. Welche Rolle spielt dieser Faktor in Ihren Augen?
Indem man etwas sparsamer mit einem Format umgeht, steigt automatisch die Begehrlichkeit. Insofern hat es vor ein paar Jahren auch mal Diskussionen mit dem Sender gegeben, als im Sommer verstärkt Wiederholungen ins Programm genommen wurden. Das ist auf der einen Seite wirtschaftlich eine gute Sache, auf der anderen Seite hatte man immer das Gefühl, dass das den Erstausstrahlungen schaden könnte. Inzwischen haben wir einen guten Mittelweg gefunden und sind happy, dass die Sendung noch immer so gut funktioniert – natürlich auf einer ganz anderen Ebene als in der Anfangszeit, aber das ist nach so vielen Jahren vollkommen normal.
Sie haben gerade schon die zunehmende Kleinteilig angesprochen. Gibt es Themen, die Sie rückblickend ziemlich absurd finden?
Wir haben in der Anfangszeit eine Sendung gemacht, in der es um Filmmusik ging. Da haben wir dann schnell gemerkt, dass es mitunter echt schwierig ist, die Songs zu bebildern – und vor allem teuer. Wann immer wir einen Filmausschnitt zeigen wollten, mussten wir die entsprechenden Rechte dafür kaufen. Selbst wenn es bloß darum ging, ein Stück Pappmaché durchs Bild zu schieben, kostete das ein Heidengeld. Da hatte ich wirklich Bauchschmerzen, am nächsten Tag auf die Quote zu schauen. Aber selbst das hat funktioniert.
Inzwischen präsentiert die "Chart Show" regelmäßig am Jahresende die Hits des jeweiligen Jahres. Trifft das überhaupt musikalisch Ihren Geschmack?
Wenn man ein Format wie die "Chart Show" präsentiert, muss man seine persönlichen Interessen immer ein Stück weit zurücknehmen. Aber das geht ja auch anderen Menschen so. Der Bäcker kann schließlich auch nicht nur seine Lieblingsbrötchen verkaufen. Da ich vom Radio komme, habe ich allerdings von Haus aus eine große Liebe zur Musik und achte noch heute beim Autofahren auf die Rotation, die Intros oder die Claims der Sender. Ich persönlich habe es immer genossen, wenn man als Hörer mitbekommen hat, wann ein Lied aufhört und das nächste beginnt. Heute fällt mir auf, dass die Musik oft zu einem einzigen Klangteppich verkommen ist. Das macht es für einen musikaffinen Menschen wie mich nicht immer einfach, sich darin wiederzufinden
Ist das Medium Radio mit seiner Formatierung heute überhaupt noch spannend?
Ich habe einst bei OK Radio in Hamburg gearbeitet. Das war seinerzeit einer der ersten musikalisch durchformatierten Sender. Wir hatten einen kleinen Kasten mit CDs im Studio und haben die Titel immer und immer wieder gespielt. In der Heavy-Rotation lief ein und dasselbe Lied alle zwei Stunden. Die Leute dachten anfangs an einen Fehler – dabei sollte das genau so sein. Gestört hat es trotzdem niemanden. Im Gegenteil, plötzlich hatten wir von allen Radiosendern in Hamburg den prozentual größten Anstieg an Hörern. Trotz aller Einschränkungen in der Musikauswahl war das aber noch eine Zeit, in der der Moderator nicht an die Leine genommen wurde und im direkten Kontakt mit den Hörern stand. Das hat wirklich Spaß gemacht, weil es das schnellste Medium der Welt war. Das ist es heute leider nicht mehr, weil die Moderatoren zu Ansagern von Wetter, Gewinnerspielen und dem nächsten Titel verkommen sind. Das würde mich heute nicht mehr reizen.
Stattdessen moderieren Sie ab Februar mit "Kitsch oder Kasse?" wieder eine tägliche Show im RTL-Nachmittagsprogramm. Was reizt Sie zehn Jahre nach dem Ende Ihrer Talkshow noch einmal an der Daytime?
Ich bin ein Quoten-Junkie – und durch eine tägliche Show habe ich fast jeden Tag die Chance, meine eigene Quote zu analysieren. (lacht) Auf der Basis dieser Zahlen sind wir in der Lage, an dem einen oder anderen Rädchen zu drehen. Gleichzeitig haben wir mit den "Superhändlern" im Rücken die Chance, einen Teil der Zuschauer für unsere Show zu gewinnen. Dazu kommt, dass die Sendung auch dann noch interessant und spannend ist, wenn man erst nach zehn oder 20 Minuten einschaltet, weil unsere Kandidaten ständig vor die Aufgabe gestellt werden, den Wert zweier Gegenstände einzuschätzen. Man kann einschalten und ist sofort drin im Thema. Deshalb glaube ich, dass es die Sendung schaffen kann, mir am darauffolgenden Tag um 8:30 Uhr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. (lacht)
Sie haben vor einiger Zeit auch "Ruck Zuck" für RTLplus moderiert, ebenfalls ein Daily-Format. Bedauern Sie es, dass es damit nicht weitergeht?
Total, das fand ich schade. Ich hätte mir gewünscht, dass die Sendung eine größere Aufmerksamkeit erhält. Wir haben es drei Staffeln lang probiert, aber es war vielleicht einfach nicht die richtige Zeit. Da darf man sich nicht grämen.
Herr Geissen, vielen Dank für das Gespräch.