Herr Herres, dieser Herbst ist nicht ganz leicht für Sie. Im Oktober war Das Erste beim Marktanteil auf ein Allzeit-Tief gefallen, der Vorabend funktioniert noch immer nicht. Wie unzufrieden sind Sie?
Zufriedenheit ist für Programmdirektoren sowieso ein schlechter Ratgeber. Sie sollten jeden Tag darüber nachdenken, wie man das Programm noch besser und noch attraktiver machen kann. Und im November stehen wir mit einem Marktanteil von 11,8 Prozent ja auch schon wieder besser da. Was unser Profil, die Qualität und Vielfalt unseres Angebots angeht, haben wir in letzter Zeit große Fortschritte gemacht. Das wird vom Publikum auch wahrgenommen. Unsere jüngste repräsentative Studie zeigt: Ein Viertel der Bevölkerung nennt Das Erste als das qualitativ beste Fernsehprogramm Deutschlands – und dahinter kommt lange nichts. Dieser Wert ist seit 2009 immer weiter gestiegen. Mein Ziel ist die Qualitätsführerschaft. Natürlich will ich auch vorn mitspielen, aber ob wir nun einen halben Prozentpunkt mehr oder weniger haben, ist zweitrangig.
Die historisch niedrigen 11,1 Prozent vom Oktober kratzen Sie also nicht?
Jeder Programmdirektor will so viele Zuschauer erreichen wie möglich. Sie dürfen aber nicht vergessen, dass wir die Qualifikationsspiele der Fußball-Nationalmannschaft an RTL verloren haben – zu einem Preis, der für uns außerhalb jeder Reichweite lag. Im Oktober gab es gleich zwei Spiele, die jeweils um die 36 Prozent Marktanteil hatten. Das war also eine Sondersituation. Im Jahrestrend liegen wir bei 12,6 Prozent, da wird sich vermutlich auch nicht mehr viel tun. Damit gehen dann erneut die ersten drei Plätze an öffentlich-rechtliche Angebote, inklusive unserer Dritten, was mich sehr freut.
Deutlich vor Ihnen liegt allerdings das ZDF.
So etwas betrachtet man immer sportlich. Beide Systeme haben den Ehrgeiz, auch quantitativ die Nummer eins zu sein. Die eben genannte Zahl – 25 Prozent halten Das Erste für das beste Programm – beeindruckt mich aber mehr und ist mir auch wichtiger. Am Hauptabend sind im Übrigen wir Marktführer vor dem ZDF – das zeigt, wo unsere Stärken, aber auch unsere Schwächen liegen. Zwischen 18 und 20 Uhr schwächelt Das Erste seit Jahren, da muss man nicht drum herumreden.
Sie haben auch dieses Jahr wieder einiges am Vorabend ausprobiert. Was haben Sie dabei gelernt?
Eine Erfahrung mache ich immer wieder: Der Vorabend ist die wohl schwierigste Zeitzone im deutschen Fernsehmarkt. Wenn dort einmal Sehgewohnheiten etabliert sind, dann ist es sehr schwer, diese wieder aufzubrechen. Mit "Heiter bis tödlich" haben wir viele verschiedene serielle Produktionen ausprobiert – selbst bei klaren Qualitätssteigerungen hat sich da wenig bewegt. Die Vorabendredaktion und die deutsche Produzentenlandschaft haben gute Arbeit geleistet. Doch am Ende ist "Heiter bis tödlich" ein Angebot, das sich zwar vom ZDF-Vorabend unterscheidet, weil es humorvoller ist, aber vielleicht doch zu nah an dessen Farbe liegt. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass wir im nächsten Jahr mit dem "Quizduell" mit Jörg Pilawa und mit neuen Serien wie dem "In aller Freundschaft"-Spin-off "Die jungen Ärzte" oder der komödiantischen Familien- und Krimiserie "Unter Gaunern" von X Filme eine größere Chance haben.
Drei Wochen "Quizduell" waren im Frühjahr ein kleines Event für sich – nicht zuletzt wegen der technischen Pannen und des kreativen Umgangs damit. Kann das auch ganzjährig funktionieren, ohne dass der Reiz nachlässt? Und wie langfristig planen Sie mit dem "Quizduell" über 2015 hinaus?
Jede Veränderung ist natürlich ein Risiko. Ich glaube aber, dass die Farbe Quiz eine gute Chance hat, zumal sie als Daily derzeit nirgendwo sonst im Angebot ist. Und ich habe großes Vertrauen in Jörg Pilawa, den ich einfach für den besten Quizonkel halte – jetzt darf man das Etikett ja offiziell benutzen, nachdem er selbst seine Show so genannt hat. Selbstverständlich machen wir das "Quizduell" in der Absicht, damit auf Strecke zu gehen. Auf Dauer ist täglich live für Jörg Pilawa sicherlich mörderanstrengend. Deshalb wird er nicht allein auf weiter Flur bleiben, sondern wir werden verwandte Farben entwickeln, die zu einem späteren Zeitpunkt im Wechsel mit dem "Quizduell" auf dem 18-Uhr-Sendeplatz laufen können.
Die Tom-Tykwer-Serie "Babylon Berlin", die derzeit gemeinsam für ARD und Sky entwickelt wird, markiert eine der Speerspitzen einer neuen deutschen Serienwelle auf internationalem Niveau. Wie viel mehr an Serie können und wollen Sie im Ersten unterbringen?
Wenn man mehr vom einen machen will, muss man zunächst beantworten, wovon man stattdessen weniger machen will. Finanzen und Sendeplätze sind nun mal endlich. Wir haben am Dienstag mit unserem doppelten Serienplatz den erfolgreichsten Serienplatz im deutschen Fernsehen schlechthin. Der ist und bleibt für mich gesetzt. Am Donnerstag bekommen wir von der Degeto ja verstärkt 90-minütige Krimireihen, die wir alternierend zu den großen Unterhaltungsshows programmieren. Der Mittwoch ist für mich quasi "untouchable". Was wir dort mit unseren Einzelstücken an Varianz haben, ist im deutschen Fernsehen auf einem fiktionalen Sendeplatz singulär – dieses Spektrum an Themen, an Handschriften, an Besetzungen. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen ist der "FilmMittwoch" eine verlässliche Marke, die auch stabil vom Publikum angenommen wird.
Damit geben Sie eine klare Antwort auf die Debatte, die zuletzt auch innerhalb der ARD geführt wurde: Müssen Fernsehfilme zugunsten anspruchsvoller, horizontal erzählter Serien reduziert werden?
Stimmt, da habe ich eine klare Position. Der "FilmMittwoch" ist für mich so sehr Kernbestandteil unserer Relevanz und Akzeptanz, dass ich ihn nicht in Frage stellen würde. Er erlaubt uns, relevante gesellschaftliche Themen fiktional aufzugreifen, und ist auch der Platz, auf dem wir wie auf keinem zweiten Themenabende gestalten können. Mit "Nackt unter Wölfen" zum 70. Jahrestag der KZ-Befreiung, Raymond Leys Doku-Drama "Meine Tochter Anne Frank", "Der blinde Fleck" zum Oktoberfest-Attentat von 1980 oder "Meister des Todes" zum Thema illegale Waffenexporte haben wir dort auch 2015 herausragende Highlights. Das heißt: Einen zusätzlichen wöchentlichen Regelplatz für Serien sehe ich im Ersten derzeit nicht. Wir sind aber flexibel genug, horizontal erzählte Serien als Event zu platzieren.
Wie könnte das konkret aussehen?
Wenn wir beispielsweise "Babylon Berlin" nehmen, dann werden wir das sicher nicht im Wochenrhythmus mit einzelnen 45-Minuten-Folgen ausstrahlen. Eine solche Serie würde ich kompakt in der Primetime programmieren – also zum Beispiel je zweimal 45 Minuten an mehreren Abenden in der Woche. Das könnte ich mir im Übrigen auch für die dritte Staffel von "Weissensee" im nächsten Jahr vorstellen, wobei da noch keine endgültige Entscheidung gefallen ist. Weitere mögliche Kandidaten für eine solche Event-Programmierung, die gerade entwickelt werden, könnten "Charité", die historische Miniserie von der UFA Fiction sein, geschrieben von Dorothee Schön, oder "Die Stadt und die Macht", eine Politthriller-Serie rund um eine Schmiergeldaffäre in der Berliner Bundespolitik, die Friedemann Fromm mit der Studio Hamburg FilmProduktion für uns drehen soll.
Am späteren Donnerstagabend haben Sie seit September einen neuen Comedy- und Satireblock, der deutlich erfolgreicher läuft als zuvor "Beckmann". Verführt Sie das zu dem Gedanken, noch einen weiteren Talk zu ersetzen?
Nein. Völlig unabhängig von der Talkshow-Debatte hatte ich immer schon den Platz für ein verlässliches Comedy- und Satireangebot vermisst. Mit dem Rückzug von Reinhold Beckmann ergab sich dann die entsprechende Option. Auf unsere bestehenden Talk-Formate von Sonntag bis Mittwoch hat das keinen Einfluss. Die haben wir gerade nochmal gründlich in einer "Qualitätsstudie Talk" untersuchen lassen. Das Ergebnis ist glasklar: Die Zuschauer schätzen sie sehr. Was mich besonders beeindruckt: In der empirischen Begleitforschung zur ARD-Themenwoche Toleranz haben wir ungestützt Zuschauer gefragt, in welchen Sendungen das Fernsehen ihrer Meinung nach den größten Beitrag zur Toleranz in der Gesellschaft leistet. 28 Prozent der Zuschauer sagen: in Talkshows – mit weitem Abstand die Nummer-eins-Nennung. Warum sollten wir also intolerant werden? (lacht)
Herr Herres, herzlichen Dank für das Gespräch.