Herr Reinhardt, ihr Kollege Ralf Husmann sagte gerade in einem Interview: "Das deutsche Fernsehen aber möchte möglichst allen gefallen. Das führt immer zum kleinsten gemeinsamen Nenner und nicht zu 'Breaking Bad'." Hat er damit recht oder nicht?
Sowohl als auch. Aber ich möchte ihm widersprechen. Er hat mit Sicherheit recht, dass es keinesfalls zu "Breaking Bad" führt, wenn man möglichst allen gefallen möchte. Dass das aber automatisch zum kleinsten gemeinsamen Nenner führt, sehe ich nicht so. Es geht nicht so sehr um den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern um die größtmögliche Vielfalt - zumindest bei den Formaten, die wir herstellen. Und darin besteht auch gar kein Widerspruch, weil größtmögliche Vielfalt bedeutet, eine Vielzahl an Themen zu haben, die bewegen und dadurch die Zuschauer an eine Serie binden. Wenn das gelingt, bekommt man Formate, die sich auch über einen sehr langen Zeitraum sehr positiv entwickeln.
Wenn Sie die größtmögliche Vielfalt ansprechen, stellt sich aber die Frage, ob womöglich im deutschen Fernsehen nicht doch mehr Vielfalt möglich wäre als es aktuell der Fall ist.
Da geht sicherlich noch mehr. In unserem Fall haben wir es allerdings mit Marken zu tun, die alle einen eigenen USP besitzen und deshalb für die Zuschauer attraktiv sind. Mir ist durchaus bewusst, dass Formate, wie wir sie machen, häufig zur Entspannung gesehen werden. Wenn man sie weiterentwickelt, was wir natürlich tun, dann kann man durchaus mehr Dinge wagen und die Vielfalt ein Stück weit ausreizen. Wer sich die Mühe macht, genauer hinzusehen, wird auch erkennen, dass wir in den vergangenen drei, vier Jahren Dinge gemacht haben, die früher nicht zu unseren Serien gepasst hätten, weil sie womöglich nicht massenkompatibel gewesen wären.
Was war das größte Wagnis der letzten Jahre?
Es geht in der Regel um Alltagsgeschichten und zwischenmenschliche Konflikte. Ich erinnere mich an eine Story, über die wir sehr heftig diskutiert haben. Bei einer Soap wollten wir am Vorabend über einen sehr langen Zeitraum eine Brustkrebs-Geschichte erzählen, mit dem Anspruch, sie realistisch und empathisch darzustellen, gleichzeitig in bestimmten Momenten aber eine gewisse Leichtigkeit reinzubringen. So wie im richtigen Leben auch Familie & Freunde versuchen, mit einer solch extremen Situation klarzukommen. Letztlich sind alle mitgegangen, die Autoren haben die Geschichte über ein dreiviertel Jahr erzählt und in der Zuschauerresonanz sind wir für den Mut belohnt worden.
In vielen Interviews wird derzeit immer nach dem "deutschen 'Breaking Bad'" gefragt. Stört Sie das eigentlich?
Nein, ich kann verstehen, dass wir Formate wie "Breaking Bad" mit einer gewissen Faszination sehen. Aber das ist wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen, weil es sich um eine andere Machart handelt, die ganz bewusst auf ein Nischenpublikum angelegt ist. "Breaking Bad" ist niemals angelegt worden, um möglichst vielen zu gefallen. Das ist ja keine Serie zum Entspannen, während der ich mir noch gemütlich eine Tasse Schokolade mache. Empathisch funktioniert das für mich nicht. Aber die Diskussion drückt den Wunsch nach Veränderung und Mut zu neuen Stoffen aus. Ich bin davon überzeugt, dass auch wir bei neuen Serien spitzer werden müssen. Ein Format muss aber nicht deshalb schlecht sein, nur weil es den Anspruch hat, viele Menschen erreichen zu wollen.
Unser Kollege Torsten Zarges hat gerade erst die Frage gestellt, wo das deutsche Serien-Schlaraffenland bleibt. Können Sie es mir sagen?
Es kommt. (lacht)
Die Frage ist, wo es kommt – und wann.
Es ist eine Frage der Zeit. Sie kennen die langen Entwicklungsvorläufe und auch die nicht immer mutigen Entscheidungsfindungen, die durch das finanzielle Risiko entstehen, das Sender bei der Produktion einer Serie eingehen. Keiner möchte einen Fehler machen und es hat in den letzten Jahren viele Formate gegeben, die nicht funktioniert haben. Ich kann die Verunsicherung auf allen Seiten verstehen. Gleichzeitig stelle ich fest, dass Autoren und Ideengeber mutiger werden. Das hängt sicherlich auch mit den tollen Serien zusammen, die in den vergangenen Jahren in den USA entstanden sind.