Vor der Weihnachtspause von „Hart aber fair“ haben Sie in der Sendung angekündigt, ab der heutigen Sendung keine anonym geposteten Beiträge der Zuschauer mehr in der Sendung vorlesen zu wollen. Warum?
„Hart aber fair“ hatte immer das Motto „Talk auf Augenhöhe“, und für Augenhöhe braucht man ein offenes Visier und sollte seinen Gegner mindestens mit seinem Namen kennenlernen und ansprechen können. Wenn sich bei uns Verantwortliche, Politiker, Wirtschaftsvertreter, Gewerkschafter und kirchliche Amtsträger hinsetzen und für Ihre Meinung einstehen, dann sollten sie ihre Kritiker aus der Zuschauerschaft auch mit Namen anreden können. Meine Kollegin Brigitte Büscher und ich haben es dann zunehmend als schmerzlich empfunden, Namen vorzulesen, bei denen von vornherein klar war: Das ist nicht nur ein anonymes Posting, das ist aggressiv-anonym. Wenn sich jemand Cassandra23, Miesepeter24 oder A.Donis nennt, dann zeigt das für mich einen gewissen Unwillen mit seinem Namen oder seinem Gesicht für seine Meinung einzustehen. Mein Appell ist: Visier auf, Meinung und Name gehören zusammen.
Aber das Feedback der Zuschauer ist seit vielen Jahren Bestandteil von „Hart aber fair“, immer auch mit anonym geposteten Meinungen. Warum gerade jetzt dieses Umdenken?
Also ich möchte zunächst mal erfreut festhalten, dass wir im Gästebuch unserer Sendung und auch auf Facebook noch eine vergleichsweise hohe Diskussionkultur beobachten können. Beim WDR, also dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sind solche Gästebücher moderiert. D.h. Beiträge müssen freigeschaltet werden. Etwa fünf Prozent der geposteten Beiträge sind justiziabel und können nicht online gehen. Aber das ist ein relativ geringer Anteil. Übrig bleiben dann immer noch sehr viele anonyme Kommentare, die durchaus sehr pointiert sind und unsere Diskussion weiterbringen könnten. Ich glaube, dass wir uns alle schleichend daran gewöhnt haben, dass die Anonymität nun einmal ein selbstverständlicher Bestandteil einer Meinungskultur im Netz sei. Ich habe das auch für mich viel zu lange hingenommen.
Aber was ist dann passiert? Was führte zu Ihrem Appell gegen anonyme Kommentare im Internet?
Irgendwann habe ich als Moderator aber festgestellt, dass es eine Schieflage gibt, wenn ich einen Politiker oder Verantwortlichen, der bei mir in der Sendung setzt, mit einem scharf formulierten Eintrag oder einer bissigen eMail konfrontiere und dann peinlich berührt in mich murmel: „Cassandra23 schreibt“. Je öfter mir das passiert ist, desto unwohler fühlte ich mich dabei. Ich empfand es als beschämend, wenn ich meinen Gesprächsgästen nicht wirklich sagen konnte, wer ihnen da gerade u.U. scharf widerspricht. Ich hatte aber, offen gesagt, auch Angst mich gegen anonyme Kommentare auszusprechen.
"Als ich noch mal intensiv das Gästebuch durchgelesen habe, ist mir die Hutschnur geplatzt"
Wieso Angst?
Ich will ja weder als Ewiggestriger gelten noch als Internet-feindlich oder gar undemokratisch den Zuschauern gegenüber. Ich glaube die Sorge hat mich lange gehemmt, aber gestört hat mich das schon länger und im Dezember, als ich noch mal intensiv das Gästebuch durchgelesen habe, ist mir die Hutschnur geplatzt: Ich wünsche mit einfach einen Meinungsaustausch auf Augenhöhe, egal wie man meinen Vorstoß jetzt wahrnehmen wird. Damit ein Gast bei uns auch darauf eingehen kann und ggf. sagen kann: „Herr Meier oder Schulze, ich kann ihnen das erklären“. Im Zweifelsfall wäre es für uns ja sogar gut, wenn wir denjenigen erreichen können, falls sein Beitrag so gut ist, dass wir ihn noch in die Sendung einladen wollen. All das spricht dafür, in einer Sendung, die auf Diskussionskultur wert legt, mit seinem Namen und vielleicht sogar via Facebook mit Foto teilzunehmen.