Ich stelle mir gerade vor, wie ich an die Tür eines Programmdirektors klopfe und frage, ob ich ihm mal eben meine neueste Idee vorstellen darf. Ich klopfe, er sagt „herein“. In 99 Prozent der Fälle wird er mir mein Papier aus den Händen nehmen, „interessant“ sagen und es dann auf einen riesigen Stapel legen, wo meine Idee dann Schimmel ansetzt. In dem einen Prozent der Fälle, wo er mich tatsächlich anzuhören bereit ist, darf ich loslegen.
Ich erzähle dann davon, dass mal Schluss sein muss mit dem Halligalli in der Wissensberichterstattung. Was wir brauchen, sind Menschen, die komplexe Sachverhalte anschaulich darstellen können. Sie müssen reden können. Wie sie aussehen, ist egal. Sie brauchen vor allen Dingen keine bunten Jacketts, und übertriebene Eitelkeit ist auch fehl am Platze. Übertriebene Eitelkeit diagnostiziere ich gerne, wenn ich merke, dass jemandem das, was er erzählen möchte, wenig wichtig ist, dass er sich vielmehr in erster Linie darum sorgt, ob er gut rüberkommt. Von mir aus, kann so ein Protagonist auch Brille und Hausmeisterbärtchen tragen und dazu ein kurzärmliges Autoverkäuferhemd. Hauptsache, ich bin hinterher klüger oder ich hatte Spaß beim Erfahren.
Ich kann dann von Glück sagen, wenn der Programmdirektor nicht die Security ruft und mich nur sanft vor die Türe bugsiert, bevor er mein Konzept in den nächstliegenden Rundordner entsorgt. Nur beim ZDF werden sie gnädiger mit mir sein und mich mit einem nach Sonderpädagogik klingenden „Ham wir schon“ vor die Tür transportieren.
Haben sie tatsächlich. Sie haben Harald Lesch. Er ist Professor für Plasma-Astrophysik und sieht auch so aus. Er legt offensichtlich sehr wenig Wert darauf, hip zu wirken. Er trägt, was Männer Mitte 50 gerne tragen. Bequem geht ihm vor schön, praktisch vor ästhetisch. Müsste man den Begriff uncool bebildern, wäre ein Foto von Lesch oft erste Wahl.
Trotzdem ist er im Fernsehen. Und bei YouTube. Da kollidieren Welten, und es wäre sehr interessant, einmal von Harald Lesch erklärt zu bekommen, warum da Feuer und Wasser zusammenkommen und gemeinsam Wirkung entfalten. Erklären kann Lesch nämlich wie kaum ein anderer.
Er macht das in seiner Sendung „Leschs Kosmos“, die früher mal „Abenteuer Forschung“ hieß. Weil der Kosmos aber nicht so oft den Dienstagabend schmücken darf, tummelt sich der Namensgeber auch noch mittendrin im Restprogramm der Mainzer, mit „Frag den Lesch“ und „Lesch To Go“, und auch bei YouTube ist er zu finden und erklärt dort, was es zu erklären gibt.
Kürzlich hat er dort einen echten Hit gelandet. Über 420 000 Klicks hat er generiert, als er sich dem Parteiprogramm der AfD widmete. Offiziell hieß das Zehnminutenfilmchen „Das AfD-Programm wissenschaftlich geprüft“. Da nimmt sich Lesch einzelne Punkte vor und teilt sie ein in „Das ist korrekt“ und „Diese Aussage ist nicht korrekt.“ Lesch sagt das nicht einfach so, er begründet das auch.
Naturgemäß gefiel das nicht allen, weshalb es ein bisschen medialen Gegenwind gab. Irgendwer fand sich schnell, der forderte, der Lesch solle das mal lassen, so wie sich immer irgendjemand findet, der genau das fordert, was Journalisten für ihre Schlagzeile brauchen.
Interessant ist aber weniger der Wirbel, den Lesch damit verursachte. Interessant ist vielmehr die Art und Weise, in der er das erledigt. Kaum jemand im deutschen Fernsehen kann so nüchtern argumentieren wie Lesch. Zwar verfügt er über eine gewisse Grunderregung in der Stimme, aber die ist eher seinem Engagement geschuldigt, nicht dem Willen irgendjemanden zu verführen.
Lesch kann nicht verführen. Verführung ist ohnehin so ziemlich das Letzte, was einem bei diesem Mann in den Sinn kommt. Lesch argumentiert lieber. Er breitet aus, was er hat, und dann sollen gefälligst seine Argumente die Arbeit erledigen. Lesch bleibt dabei so wunderbar nüchtern, dass man ihn glatt als Gradmesser bei Alkoholkontrollen einsetzen könnte. „Der ist total Lesch“, könnte ein Polizeibeamter sagen, wenn er einen Alkoholtest für überflüssig erachtet.
Das Schöne ist, dass einer wie Lesch oft für einen Langweiler gehalten wurde. Seine Art war noch nie hip, und die Schaumkrone jeglicher Erregung fiel in sich zusammen, wenn er auf den Bildschirm kam. Genau das aber macht ihn in diesen Zeiten, da alle so gerne und schnell aufschäumen und sinnfrei eskalieren, so wertvoll.
Lesch steht für einen Typ Fernsehmensch, der das öffentlich-rechtliche Medium mit einer Grundsubstanz versorgt: mit Glaubhaftigkeit. Er weiß um die Kraft seines Wissens und setzt genau die ein.
Natürlich wird auch er eitel sein. Möglicherweise ist er hinter den Kulissen unerträglich. Macht nichts, so lange er auf dem Schirm wirkt wie einer, der dort nicht hingehört. Genau das ist die Chance und damit die Zukunft des Fernsehens. Es muss Menschen versammeln, die für etwas stehen, die Haltung zeigen.
Daher werde ich nicht aufgeben und in meinen Träumen noch viele Programmdirektoren aufsuchen. Wenn wir das Fernsehen als Medium von Belang erhalten wollen, brauchen wir weniger Poser und mehr Leschs.