Wenn man bei Anne Will erst 16 Minuten nach Beginn der Sendung zu Wort kommt, ist man mit Sicherheit nicht der Stargast. Eher darf man sich mit Fug und Recht als Talkshow-Randerscheinung bezeichnen, als jemand, der irgendwie eingeladen wurde, weil halt noch ein Sessel frei war. Bernhard Pörksen ist so eine Randerscheinung.
Am vergangenen Sonntag saß er bei Anne Will, und die wollte erst nach einer guten Viertelstunde etwas von ihm wissen. Es ging um den Fall Böhmermann. Und dann passierte Ungewöhnliches. Pörksen, der ansonsten als Professor für Medienwissenschaften an der Universität Tübingen wirkt, redete von Metakommunikation, von globalen Resonanzräumen und von diffundierenden Witzen. „Wir müssen auch uns irgendwann wieder von der Aufregung dieser Aktualität lösen und diesen Fall als ein Lehrbeispiel für neue Erregungsepidemien verstehen“, sagte er.
Da sahen nicht nur die restlichen Gesprächsteilnehmer ein bisschen so aus, als verstünden sie nur Bahnhof, da war es auch für einen stuhlkreiserprobten Zuschauer wie mich nicht direkt leicht, den Aussagen dieses Mannes zu folgen. Das war nicht weiter schlimm, denn umgehend funktionierte die Sprechschau nach Pörksens Verstummen wieder wie das in öffentlich-rechtlichen Plauderstatuten vorgesehen scheint. Da erhob der eine die Stimme, um den anderen zu übertönen, und der wiederum bat darum, doch endlich ausreden zu dürfen.
Pörksens Beitrag verblasste rasch, wohl auch, weil so einer wie er fürs Medium Fernsehen nur bedingt taugt. Er hat es nicht so mit den Holzschnitten, und falls doch, dann weiß er diesen Drang gut zu verbergen. Er plädiert mit seinem ganzen Wesen dafür, sich mit Fakten auseinanderzusetzen, und wenn die anderen fernsehgerecht an der Brüllschwelle verbal ejakulieren, ist er einfach still.
Er passt nicht wirklich in diese Medienwelt. Ihm fehlt die Tonart E-Moll. E wie Erregung. Er tönt lieber in A-Dur. A wie Analyse.
Das ist mir schon mehrfach aufgefallen, wenn er sich eingemischt hat in Fragen von medienpublizistischem Belang. Wobei eingemischt das falsche Wort ist. Einer wie Pörksen wird gefragt, und dann antwortet er, aber so, wie er das für richtig hält. Ruhig, besonnen, aber nicht immer gleich und nicht immer leicht zu verstehen. Man muss bei ihm eine Tugend entstauben, die es im medialen Strudel nicht immer leicht hat, an die Oberfläche zu gelangen. Man muss ihm zuhören.
Das lohnt sich, denn dieser Mann hat bisher immer, wenn ich ihn wahrgenommen habe, sehr kluge Sachen gesagt. Er hat die Dinge klargerückt, als sich Dieter Nuhr vom Shitstorm beschmutzt sah, er hat auch für die mediale Hysterie nach der Kölner Silvesternacht eine Erklärung gefunden.
„Aus meiner Sicht haben wir unmittelbar nach dem Ereignis eine Entfesselung des Bestätigungsdenkens erlebt, eine Instrumentalisierung des Geschehens für das eigene Weltbild und eine Sinnproduktion unter Hochgeschwindigkeitsbedingungen“, hat er gesagt. Ich habe das nicht sofort durchdrungen, aber je öfter ich den Satz gelesen habe, desto klüger kam er mir vor.
Ich weiß nicht, wie es in Pörksens Seminaren zugeht, ob es da langweilig oder aufregend zugeht. Aber wenn sie nur halb so viel Erkenntnis beinhalten wie seine öffentlichen Wortmeldungen, würde ich gerne mal an einer solchen Veranstaltung teilnehmen.
Im Falle Böhmermann diagnostiziert er im „Tagesspiegel“ eine Kontextkrise, einen „Clash der Codes, eine Sofort-Konfrontation von unterschiedlichen Systemen der Wirklichkeitsdeutung, die eine intensiv vernetzte Welt in einen Zustand der Daueraufregung versetzt.“
„Wenn Meta auf Inhalt trifft, wird es kompliziert – und mehr undefined“, twitterte der Tagesspiegel-Medienredakteur Joachim Huber dazu. Völlig zu Recht.
Wenn Pörksen kommt, wird es anstrengend, aber ich habe das Gefühl, dass sich genau diese Anstrengung lohnt, weil sie den Weg zur Erkenntnis weist und herausführt aus dem Tal der ewig Erregten.
Ich will hier nicht die einzelnen Thesen repetieren. Das soll jeder selbst tun. Kann man googlen. Ich möchte nur sagen, dass es möglicherweise hilfreich wäre, wenn wir ein paar mehr Pörksens in dieser Medienwelt hätten, Analytiker, die bemüht sind, Dinge zu ordnen, auch wenn es Mühe macht.
Vielleicht liege ich mit meiner Pörksen-Begeisterung auch falsch und der Typ nervt in Wahrheit ganz enorm. Keine Ahnung, ich kenne ihn nur aus dem, was ich wahrgenommen habe, und das ist mehrheitlich sehr klug.
So klug, dass ich über die nächste Sau, die durchs mediale Dorf getrieben wird, erst schreiben werde, wenn ich Pörksen gehört oder mich gefragt habe, was Pörksen wohl dazu sagen würde.