Es gibt dieser Tage viel Aufregung um die klassische Musik. Wäre ich ein bisschen gemein, würde ich sagen: Es sind mehr Menschen an der Aufregung beteiligt als die zugehörigen Angebote Hörer haben. Im einen Bundesland stehen die so genannten Klangkörper zur Disposition, im anderen soll der Klassiksender ins Digitale wandern und seine UKW-Frequenz für eine Jugendwelle freiräumen. Dazwischen wabert die Diskussion, ob sich öffentlich-rechtliche Sender in Zeiten prekärer Haushaltslage weiterhin Orchester und Chöre leisten sollen. Die Diskussion wogt, und sie wird von lauter Empörung getragen. Dahinter steht natürlich die Frage, wie viel Klassik das öffentlich-rechtliche System braucht.
Halt, diese Frage stellt sich nicht. Diese Frage stellt kaum jemand, denn jeder, der sie stellt und fragt, warum ein von jedem Haushalt finanziertes System etliche Fiedelvereinigungen finanzieren muss, wird flugs als Kulturbanause gebrandmarkt und von den gängigen Diskussionen ausgeschlossen. Kurz gesagt: Die Freunde der klassischen Klänge haben die Diskussionen im Griff und wissen diese geschickt zu lenken.
Im Prinzip hat niemand in Deutschland eine so große Lobby wie die Freunde der klassischen Kultur. Nun ja, vielleicht finden sich noch ein paar mehr Menschen, die für das Recht eintreten, nicht angeleinte Köter irgendwo hinkoten zu lassen. Aber direkt danach kommen schon die Klassikfreunde.
Dass diese gut organisiert sind, zeigte sich im vergangenen Jahr, als bei der Kölner Kulturwelle WDR 3 ein paar winzige Änderungen anstanden. In Windeseile standen die selbst ernannten Radioretter parat und sorgten für eine riesige Empörungswelle. Gegen Kulturabbau? Bin ich auch: Wo kann ich unterschreiben? Die Liste wurde länger und länger und zählte am Schluss Zehntausende Unterschriften. Dass etliche darunter waren, die WDR 3 höchstens mal zu Weihnachten einschalten – geschenkt.
Hat sich WDR 3 deshalb nicht geändert? Doch, die Änderungen sind fast genau so umgesetzt worden wie geplant. Zwar gab es ein paar Änderungen der Änderungen, und die Planer der Reform hatten es schwer, das, was sie sich ausgedacht hatten, durchzusetzen, doch am Schluss kam das meiste durch.
Ähnlich geht es im Bereich des SWR, wo man aus zwei Orchestern eines machen will. Was tönte da der Aufschrei. Kulturverlust! Banausentum! Dass es sich bei der Kürzung um die logische Folge aus der Vereinigung zweier Landessender handelte, trat oft in den Hintergrund. Wichtig war, dass die Macher vom Sender als böse Kulturverächter dastehen, die nicht verstanden haben, was unsere Republik ausmacht.
Und dann die Bayern. Die möchten ihre Klassikwelle ins Digitale verlagern. Nicht abschaffen, sondern verlagern. Dagegen erhebt sich großer Protest. Wäre ja noch schöner, wenn jene, die sich ihre Plätze im Opernhaus hoch subventionieren lassen, ein paar Euro aus dem dick gefüllten Säckel holen müssten, um einen weiterhin störungsfreien Empfang zu gewährleisten.
Die Frage, die letztlich nie gestellt wird, ist jene nach dem Sinn der so genannten Klangkörper. Wozu brauchen all die ARD-Anstalten Chöre und Orchester? Zur Bereicherung der kulturellen Vielfalt im Lande, sagen die Fans der Kapellen. Ohne Orchester würde gerade auf dem platten Land die Kultur versanden. Da kommen die Chöre und Orchester gerade recht.
Mit demselben Recht könnte man aber auch hauseigene Theater bei den Sendern installieren. Und warum hat noch keine Anstalt eine ordentliche Rockband geboren und gepflegt? Weil es niemand braucht.
Orchester in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind eine Einrichtung der Vergangenheit. Sie wurden einst eingerichtet, um das Programm vollzumachen. Es gab halt zu Gründerzeiten kein iTunes, kein YouTube und kein Spotify, wo man mal eben Musik zapfen konnte. Musik gab es nur live oder gar nicht. Da war es sinnvoll, eigene Orchester zu unterhalten, die all jene Klänge erzeugten, die nachher geeignet waren, die Programme klingen zu lassen.
Dass an eine Abschaffung aber trotzdem nicht zu denken ist, macht eine Anekdote aus einem Intendantenbüro deutlich. Dort wagte die Assistenz vor Jahren mal, die Frage zu stellen, ob die Mitglieder des hauseigenen Chores denn unbedingt mit einer Festanstellung bedacht werden müssten. Man könne die Sänger doch ebenso gut als gut dotierte freie Mitarbeiter behandeln, so wie es bei Moderatoren ja auch üblich ist. Die Antwort war eine erhobene Augenbraue des Intendanten. Ob man noch nie etwas vom Zweifrontenkrieg und dessen Sinnlosigkeit gehört habe, wollte der oberste Hierarch wissen. Hatte man zwar schon, aber noch nie daran gedacht, dass in deutschen Sendern in Kriegskategorien gedacht wird.
So werden sie also weiterhin fiedeln und dem Gebührenzahler auf der Tasche liegen. Widerstand dagegen zwecklos. Es gilt: Ihr bekommt die Klassik, die wenige wollen, die aber viele, die sie nie hören, verteidigen. Weil sie denken, dass sie eines Tages auch so klug werden wollen wie die Klassikhörer. Und dass sie dann bestimmt auch gerne jenen Produktionen lauschen, die von festangestellten Chören, Orchestern und Big Bands in die Welt gesetzt werden. Ein perfektes System der Selbstverteidigung, das immer wieder aufs Neue klarmacht: Wer uns anrührt, kriegt es mit einem Protest zu tun, gegen den jeder Shitstorm ein laues Lüftchen ist.