Michael WestphalEinige traditionelle TV-Sender sind im Zuge der Medienkrise in Schieflage gekommen und müssen ihre eigenen Produktionen zurückfahren. Ist das gerade jetzt ein günstiges Umfeld für Bewegtbild-Produktionen fürs Internet?

Peter Otto, T-Systems: Die Situation ist so günstig wie nie zuvor! Eine Krise erhöht stets die Motivation, neue Lösungen und Formate zu entwickeln. Die Broadcaster nehmen das Medium Internet nun tatsächlich als einen alternativen und zumindest ebenbürtigen Übertragungsweg wahr und bieten entsprechende Portale an. Im Internet lassen sich durch die vorhandenen Interaktionsmechanismen neue Formate realisieren und unmittelbar übertragen. Einen spannenden Ansatz bildet die Nutzung von User generated Content; die User selbst produzieren Ereignisse, Veranstaltungen und News. Die Broadcaster können die längst bekannte Rolle eines Aggregators übernehmen und ihre Plattformen und Formate öffnen oder bereitstellen. Für eine Live-Berichterstattung als UGC bieten wir moderne Lösungen an, die sofort mobil einsetzbar sind.

Michael Westphal, TV1 (Foto): Da hat man sehr lange ausschliesslich auf das traditionelle Geschäftsmodell gesetzt, Neues verschlafen. Wenn man dann noch die Schulden aus einem Hedgefondsdeal schultern muss, wird es ungemütlich. Für Internet Produktionen ist die Produktionskette TV oversized, da sehe ich kurzfristig keinen Ersatzmarkt. Erst muß die Online Video Werbung greifen, dann werden nennenswerte Gelder fliessen können.
 
 

 
 
Der Fernsehsender "Giga" hatte vor seinem Aus auf ein Zusammenspiel von TV und Web-TV gesetzt. Welche Chancen räumen Sie dennoch einer Umsetzung einer gemeinsamen Strategie zwischen TV-Programm und Web-TV noch ein?

Peter OttoPeter Otto (Foto): Beide Kanäle haben auf den ersten Blick viel gemeinsam und unterscheiden sich doch essenziell. Im Web TV lässt sich deutlich mehr Interaktionsfunktion implementieren als im klassischen Linearfernsehen und dies bildet am Beispiel von "Giga" ein wichtiges Argument bei der Ansprache, Bindung und Identifikation der adressierten Zielgruppe/User. Ein lineares TV-Programm gibt durch seinen starren Ablauf durchaus auch thematische Führung und Orientierung, die wirkungsvoll ergänzt wird durch die flexiblen Strukturen im Web TV.

Michael Westphal:
Der Fall von Giga hatte andere Gründe. Ein TV-Sender ohne Online TV Strategie braucht eigentlich gar nicht antreten. In wenigen Jahren wird Online das Hauptmedium sein.

Auf welche Erlösmodelle sollten sich die Betreiber konzentrieren? Einfaches Lizenzgeschäft oder mit auf TKP basierenden Werbeeinahmen?

Peter Otto: Das hängt entscheidend vom jeweiligen Geschäftsmodell ab. Das Lizenzgeschäft gibt einen unmittelbaren Rückschluss auf das betriebene Business und die angebotenen Inhalte. Hier zählt neben inhaltlicher Qualität auch die Übertragungsqualität der Videos. Das werbefinanzierte Modell beschreibt eher einen Kredit auf die Leistungsfähigkeit des betriebenen Portals und die Userbindung und nutzt eine andere Mechanik. Aus Betreibersicht funktionieren werbefinanzierte Modelle schneller, sind jedoch auch schneller austauschbar.

Michael Westphal:
Sowohl, als auch, aber eben noch mehr. Schon tauchen die ersten CpO (cost per order) Modelle auf. Wir werden radikale Konzepte sehen: Ein Radiosender sendet schon kostenlose Spots und kassiert Provisionen bei Verkauf, der über das Internet kontrolliert wird. Eines ist Fakt:Werbekunden hassen Streuverluste und verbrannte Budgets. In Zukunft zählt nur noch der Erfolg. Die Beweislast liegt beim Anbieter.

WebTVWerden in der Zukunft auch absolute Blockbuster mit 1 Million Klicks und mehr möglich sein? Sind dazu hohe Investitionen notwendig?

Peter Otto: Hier gilt es eine Differenzierung zu treffen - live versus on Demand. Für eine verlustfreie und qualitativ hochwertige Übertragung eines Live-Events ist der Anspruch an eine technische Plattform deutlich höher als für on Demand Content. Für die Bewältigung eines derartigen Klickaufkommens setzen wir auf eine hybride Lösung aus Streamingplattform und Peer-to-Peer-Netzwerk. Bislang sind die vorhandenen Kapazitäten jedoch ausreichend dimensioniert. Interessant wird es bei Live-Events, die exklusiv nur im Internet angeboten werden. Um einen solchen Traffic zu erzeugen, muss schon ein Ausnahme-Event statt finden, etwa die Reunion der Band ABBA.

Michael Westphal: Na klar, es dauert auch nicht mehr lang: Das ZDF schafft bei gewissen Inhalten schon heute sechsstellige Zahlen. Trotzdem werden die großen Investments nicht 
nötig sein. Streaming ist ein klassisches Outsourcing Thema. Bezahlt wird nach Verbrauch. Stimmt das Geschäftsmodell, klappts auch mit der Rendite.

Welcher Art von Bewegtbildsendungen räumen Sie in den nächsten Jahren die größten Chancen ein? Was ist ihre Lieblingssendung?


Peter Otto: Ein Trend ist unverkennbar: E-Commerce wird durch Bewegtbild einen neuen Impuls bekommen und es werden neue Formate in diesem Sektor entstehen. In gewisser Weise wird Teleshopping auf eine höhere Aggregationsebene geführt und neu definiert. Ein spannender Ansatz, den wir erkennen, bezeichnen wir mit Media Commerce Experience. Die Technologien und Tools sind längst vorhanden und für eine Umsetzung bereit. Bekannte Paradigmen vom Teleshopping erfahren hierdurch eine neue Interpretation und verhelfen diesem Ansatz zum Erfolg. Zu meinen Lieblingssendungen gehören neben "Tagesschau" und "heute" auch historische Dokumentationen im Web TV beim ZDF und natürlich Premium Sports, wie die Deutsche Fußball Bundesliga und die UEFA Champions League bei Premiere.

Michael Westphal: Special interest hat großes Potential, long tail via video sozusagen. Dazu alles in HDTV, denn wir werden im Internet schneller mehr spannende Inhalte sehen, als das TV per Satellit an den Start bringen kann. Mein Lieblingsprogramm ist Tatort und Dr. House: Sensationell, die Kombination aus dem schräg agierenden Hugh Laurie als Vicodin-abhängiger Zyniker im Arztkittel und den maximalinvasiven Kamerafahrten, um abstrus seltene Krankheiten zu differential diagnostizieren. Da lässt sich vieles auf die Medienbranche ableiten.