Express vom 21. NovemberSind Sperrfristen in Zeiten des Internets und einem immer offeneren Informationsfluss zwischen Sender und Empfänger noch angebracht? In einigen wenigen Fällen vielleicht noch. Doch all zu oft haben vorab verschickte Presse-Informationen mit Sperrfrist heutzutage nur einen Grund: Sie sollen die Tageszeitungen davor schützen, noch schneller in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen. In einem freien Markt der Informationen wären die Tageszeitungen nämlich noch chancenloser gegen Radio, Fernsehen und Internet - und könnten im Falle des Prominenten-Special von "Wer wird Millionär?" erst am Samstag über die Sendung berichten, deren Fernsehausstrahlung am Donnerstagabend um 23.15 Uhr endete.

Um diesen strukturellen Wettbewerbsnachteil der Tageszeitungen auszugleichen und nur deshalb, bediente sich auch RTL am Donnerstag wieder einmal einer Vorab-Information für die Presse mit Sperrfristvermerk. Online, Radio, Fernsehen: Alle anderen Medienformen bedürfen wohlgemerkt nicht solcher wettbewerbsverzerrender, lebensverlängernden Maßnahmen. Eine Mitteilung nach Ende der Sendung hätte gereicht. Bei RTL und nicht nur da, hat man allerdings ein Herz für Medien, die sich in dieser Form überlebt haben: Damit die Tageszeitungen am Freitag nicht schon bei ihrem Erscheinen alt aussehen, setzen Unternehmen weiterhin auf Sperrfrist-Meldungen.  
 
Kölner "Express" verrät schon vor Sendungsbeginn alle Details
 
Doch absurd wird dies, wenn sich die einzigen Medien, für diese Vorabinformationen wichtig sind, selber nicht an die Sperrfrist halten: In Köln war so schon am Donnerstagabend um 19 Uhr - über eine Stunde vor Ausstrahlung des "Wer wird Millionär"-Prominentenspecials bei RTL der "Express" vom Freitag erhältlich. Auf der Titelseite des Kölner Boulevardblatts: "Gottschalk: Eine Million für arme Kinder" - und auf Seite 4 der Zeitung die ausführliche Story zur Sendung. In diesem Fall wurde RTL der Spaß also von denjenigen verdorben, für die man diese Informationen vorab verschickte.

Express vom 21. NovemberEs wäre also wünschenswert, wenn Unternehmen diese lebenserhaltenden Maßnahmen für die "Tageszeitungen" unterlassen würden - und auf dem Markt der Informationen für alle die gleichen Voraussetzungen gelten. Sobald etwas passiert, kann darüber geschrieben werden. Dass die Tageszeitungen dann bei abendlichen Veranstaltungen oder TV-Sendungen das Nachsehen haben - man sollte es nicht bedauern. Es ist der strukturelle Nachteil, der bislang eben allzu oft kaschiert wurde. Geradezu dreist wird es, wenn diese Medien es dann auch noch sind, die die Sperrfristen brechen - und damit Auflage und Umsatz machen.
 
Das gilt übrigens nicht nur für am Vorabend verkaufte Auflagen, auch für ePaper-Angebote. Der Berliner "Tagesspiegel" veröffentlicht jeden Abend alle Artikel der Ausgabe des nächsten Tages online. So natürlich auch im Fall von Gottschalks Millionengewinn - der ebenfalls schon lesbar ist. Übrigens auch beim "Berliner Kurier". Wie lässt sich die Wettbewerbsverzerrung erklären, dass manche ePaper-Ausgabe vom Freitag bzw. an eine Tageszeitung angeschlossene Online-Portal schon jetzt von Gottschalks Millionen-Gewinn erzählt - aber Online-Nachrichtenportale ohne Zeitungsanbindung die Sperrfrist einhalten sollen? DWDL.de zumindest hätte kein Problem mit einer um 23.15 Uhr verschickten Pressemitteilung von RTL. Niemand hätte damit ein Problem. Niemand - bis auf die Tageszeitungen.