Bild: CBS International TelevisionEine zweite Staffel der US-Serie "Jericho" war vom Sender CBS nicht vorgesehen. Die Einschaltquoten des ersten Durchgangs waren dafür nicht überzeugend genug. Doch es kam anders und das sogar ohne, dass die Serie in einen besonders erfolgreichen DVD-Verkauf ging oder überschwengliches Kritiker-Lob oder Preise kassierte. Es waren anhaltende Zuschauerproteste, die den Sender zur Fortsetzung der Serie bewegten.

Die Story vom Protest der "Jericho"-Fans und ihren Unmengen an Erdnüssen, die sie in Anspielung auf eine Szene des Staffelfinales an die Senderverantwortlichen schickten, ist kein Einzelfall. Auch der US-Sender FOX hat schon seine Erfahrungen mit einer falsch eingeschätzten Zuschauerschaft gehabt. Doch während es bei "Jericho" maßgeblich der Kult im Web und die dort vehement vertretene Forderung nach einer Fortsetzung war, hat die unerwartete Fortsetzung der Zeichentrickserie "Family Guy" andere Gründe.
 
Die gesellschaftskritische Zeichentrick-Serie über eine typisch amerikanische Familie in Neuengland galt schon nach der zweiten Staffel als abgesetzt, auch weil FOX immer wieder sehr kurzfristig die Sendeplätze wechselte und die Quoten sich so wenig überraschend nicht den Erwartungen entsprechend entwickelten. Doch FOX gab "Family Guy" noch eine dritte Season bevor der Sender 2002 endgültig den Stecker zog. Die Fans der Serie wollten sich nicht geschlagen geben. Eine Online-Protestaktion blieb dennoch ohne Folgen.
 
DVD-Verkäufe überführen Fernsehsender
 
Überzeugender waren offenbar andere Argumente: Als "Family Guy" ein Jahr später in Wiederholung im Abendprogramm (Adult Swim) des Kabelsenders Cartoon Networks lief, erreichte die Serie überraschend gute Einschaltquoten. Und es folgte das DVD-Wunder: Die ersten beiden DVD-Releases der Serie machten "Family Guy" im Jahr 2003 mit 2,2 Millionen verkauften DVD-Boxen zur erfolgreichsten TV-Serie auf DVD, noch vor "Sex and the City" und "Friends".

Foto: FOXIm November 2003 gab es dann erste Gerüchte über eine Rückkehr der Serie, die im Februar 2004 offiziell bestätigt wurde. Am 1. Mai 2005 wurde "Family Guy" mit der vierten Staffel fortgesetzt. Sowohl "Family Guy" als auch "Jericho" sind zwei vergleichsweise aktuelle Beispiele aus dem amerikanischen Fernsehen, in dem die Fernsehsender offenbar nicht den richtigen Riecher bewiesen hatten. Und beide Serien sind auch ein Beispiel für die neue Rolle des Fernsehzuschauers.

Galt früher die uneingeschränkte Deutungshoheit der Fernsehsender über Erfolg oder Mißerfolg einer Sendung, so müssen sich die Fernsehmacher seit Internet-Boom und DVD-Verkäufen darauf einstellen, dass nicht länger die Quote - und damit der Sender allein -   das Schicksal einer Sendung besiegelt. Es geschieht in der Regel noch immer. Aber es gibt eben Ausnahmen, denn die Gegenöffentlichkeit ist im Web heute ungleich stärker und im Falle der DVD-Verkäufe auch messbarer als früher.
 
Verantwortung der Fernsehsender für Quotenflops steigt
 
Die deutschen Sender scheuen sich noch etwas davor, dies zu erkennen. Man müsste sich selbst zu unangenehme Fragen stellen, wenn eine Serie im DVD-Verkauf verhältnismäßig erfolgreicher ist als im eigenen Programm. Es würde entlarven, dass es offenbar im Sender zu verantwortende Fehler bei Programmierung oder Bewerbung gab oder der Zuschauer die immer häufigeren Werbeeinblendungen im laufenden Programm einfach gezielt vermeiden will. So oder so keine schöne Erkenntnis. Sie würde den Sendern in solchen Fällen eine noch größere Verantwortung für Quotenflops bescheinigen.
 
Foto: ProSiebenDeshalb wehren sich deutsche Sender offenbar dagegen. So halten es z.B. ProSieben-Unterhaltungschef Jobst Benthues (Foto) und RTL-Comedychef Holger Andersen für abwegig, dass ein Sender die Programmentscheidung über die Fortsetzung einer Serie von Internet-Protesten oder DVD-Verkäufen abhängig mache. Letztere solle man, so Benthues bei einem Workshop der Adolf Grimme Akademie im vergangenen Herbst, im Verhältnis zur Fernsehausstrahlung ohnehin nicht überschätzen. Reichweite und Einnahmen ließen sich nicht vergleichen.

Richtig ist sicher, dass die Fortsetzung einer Serie letztendlich wie alles eine wirtschaftliche Entscheidung bleibt. Doch anders als mancher US-Sender verstehen es unsere Fernsehsender offenbar noch nicht, sich die Proteste zu Eigen zu machen. In den USA ist CBS beim Umgang mit dem Feedback des Publikums einen Schritt weiter und beweist Lässigkeit. Der Trailer zur zweiten Staffel von "Jericho" begann mit den Worten: "Once in a great while a show comes along that viewers are willing to fight to put back on television. That show is 'Jericho'".

So souverän war ProSieben z.B. bei der Rückkehr der Christian Ulmen-Sendung "Mein neuer Freund" nicht. Schon nach der ersten Folge nahm der Sender das Format aus dem Programm. Nach Protestaktionen im Web und einem erstaunlichen Presseecho darüber, nahm ProSieben "Mein neuer Freund" recht kurzfristig wieder ins Programm. Einen Zusammenhang mit Protestaktionen streitet Unterhaltungschef Benthues aber ab.
 
"Simpsons-Fans sind die Taliban unter den Fernsehzuschauer"

Beim Thema Zuschauer-Proteste lässt Benthues nur eine Ausnahme gelten - und die liegt schon fast zehn Jahre zurück. Damals zog sich ProSieben wegen einer wenig liebevollen Sendepolitik den Unmut der "Simpsons"-Fangemeinde zu. Es entstand eine Protestbewegung, aus deren Website sich das heutige tvmatrix.de entwickelte. Deren Vertreter ließ der Sender 1998 letztendlich sogar nach Unterföhring einfliegen, um die Angelegenheit zu klären.

An die Hartnäckigkeit der "Simpsons"-Fans erinnert sich Benthues noch gut und scherzte  bei der Veranstaltung der Adolf Grimme Akademie im vergangenen Herbst mit einem Seufzer: "Simpsons-Fans sind die Taliban unter den Fernsehzuschauer." Die Serie ist seit dem Vorfall ein heißes Eisen, dass im Sender nur ungern angepackt wird. Ein Ende der werktäglichen Ausstrahlung scheint somit vorerst wie auch mittelfristig nicht gefährdet.  Dank der guten Einschaltquoten - und der Fangemeinde.